Ein perfektes Schietwetter-Ritual: Die ostfriesische Tee-Zeremonie

Jeder Bürotag beginnt bei mir aktuell mit dem gleichen Ritual: Teekanne vom Schreibtisch in die Küche tragen, Wasserkocher anstellen, restliche Teepfütze vom Vortag auskippen, Teekanne und Teetasse ordentlich abspülen, Kräutertee im Beutel in die Kanne hängen, heißes Wasser zuschütten, alles auf den Schreibtisch tragen und mit der Arbeit loslegen. Im Herbst werde ich zur Teetante. Eineinhalb Liter fließen den Tag über meine Kehle hinab. Hält gesund und vor allem warm.

Aber ein Ritual ist noch lange keine Zeremonie. In dem Punkt würden mir Japaner wie Ostfriesen unmittelbar zustimmen (ob es noch weitere Gemeinsamkeiten beider Gruppen gibt, mag ich an dieser Stelle nicht beurteilen). Einen Teebeutel in heißem Wasser schwimmen zu lassen ist für sie vielmehr etwas, für das sie nur ein müdes Lächeln übrig haben. Eine Zeremonie folgt ganz anderen Traditionen – die ostfriesische habe ich vor Kurzem in Neuharlingersiel kennengelernt.

Und zwar im DJH-Resort Einem Ort, an dem ich sofort Strandkörbe entdeckte – und Ihr wisst ja, was ich immer sage: Orte, an denen Strandkörbe stehen sind gute Orte. Genauso wie Tage, an denen Konfetti geschmissen wird, gute Tage sind.

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Wie ich bei meiner kleinen Reise durch die Jugendherbergen Leer, Bad Zwischenahn, Schillig und Neuharlingersiel gelernt habe, sind die Tage von lauwarmen Pfefferminztee in Plastikthermoskannen längst vorbei. Überall gibt es eine Reihe an verschiedenen Teesorten, in Leer natürlich vom lokalen Anbieter Bünting. Meine Erlebnisse während der Tour habe ich übrigens auf dem Blog der Jugendherbergen veröffentlicht, falls Ihr mehr erfahren möchtet. In allen vier Häusern beherrscht man die Kunst der ostfriesischen Teezeremonie, in Neuharlingersiel habe nun auch ich sie gelernt. Und zwar geht das so:

1. Gebt ein Stück Kluntje in die Porzellantasse.

2. Gießt darauf den Ostfriesentee.

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3. Dann tröpfelt ihr die Sahne dazu – und zwar entgegen des Uhrzeigersinns. Das soll sinnbildlich der Entschleunigung dienen.

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4. Nein, nicht umrühren. Bloß nicht! Der echte Ostfriese trinkt den Tee genau so und freut sich über die unterschiedlichen Geschmackserlebnisse, die ihm Schluck für Schluck begegnen.

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5. Ihr habt genug und möchtet nicht mehr nachbeschenkt bekommen? Dann kommt jetzt der Löffel ins Spiel. Stellt ihn in die Tasse und zeigt damit, dass ihr keinen weiteren Tee mehr möchtet. Das solltet Ihr aber frühestens nach der dritten Tasse machen, sonst geltet Ihr bei den Ostfriesen fast schon unhöflich.

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Zum Tee passt übrigens Rosinenstuten mit Butter sehr gut.

Manch einer sagt, in Ostfriesland wären der späte Vormittag und der Nachmittag die Zeiten für diese Zeremonie. Andere sagen, der Ostfriese trinkt den ganzen Tag über Tee. Ich sage: Trinkt ihn, wann Ihr möchtet. Aber gönnt Euch dem meditativen Zauber, den so eine Zeremonie haben kann, nur dann schmeckt der Tee so richtig gut. Wenn an November-Regentagen keine Zeit dazu ist, wann denn dann?

 

 

 

 

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

4 thoughts on “Ein perfektes Schietwetter-Ritual: Die ostfriesische Tee-Zeremonie

  1. Wunderbar geschrieben. Wir haben in unserem Urlaub in Norden ein wunderschönes Cafe gefunden in dem man herrlich eine Tee Zeremonie genießen kann während man auf der Dachterrasse entschleunigt. Ein wunderbarer Brauch den ich immer gerne genieße.
    VG Anne

  2. So eine Teezeremonie hatte ich neulich im Rahmen eines Jugendaustausches im Rathaus. Als Ostfriesin kannte ich das selbstverständlich schon, aber die israelischen Austauschschüler fanden das ganze wirklich interessant.
    Anneke ♥

  3. Hach…da bekomm ich doch direkt und ohne Umwege Lust auf eine TEEpause.
    Deine Beschreibung ist einfach herrlich! Schön gewählte Worte!
    Hab eine schöne Woche
    Liebe Grüße, Gabi

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