Bremen: Auf dem Weg zur Kneipentoilette erspähe ich zwischen Kinoprogrammen und Werbeflyern einen Stapel kostenloser Postkarten. Ins Auge fällt mir eine hellblaue Karte mit einer cartoonartigen Zeichnung von einem schneebedeckten Berg. „Der Berg ruft“ steht darüber. Julia, denke ich. Wenn jemand diese Karte bekommen muss, dann Julia, meine kletterbegeisterte alpinerprobte Freundin. Zuhause setze ich mich an den Küchentisch und schreibe einige Zeilen auf die Rückseite. Briefmarke drauf, ab die Post.
München, einige Tage später: Statt in Julias Briefkasten ist die Postkarte auf dem Flurboden gelandet. Nachbarn und Passanten sind inzwischen über das Bergmotiv gelaufen, wahrscheinlich in der Annahme, es sein irgendein Flugzettel. Dass es eine beschriebene Karte ist, kann man nicht sehen, die Schrift zeigt nach unten. Doch als Julia das Papier auf dem Boden liegen sieht und den Berg erblickt, bleibt sie stehen. Das Bild muss ich haben, denkt sie und hebt die Postkarte auf.
Und die Moral von der Geschicht: Den richtigen Instinkt hat man oder eben nicht.