Auf Wiedersehen, Oma!

Wann immer ich an Oma denke, fallen mir drei Sachen sofort ein: Bärenmarke Kaffeesahne, Kniffel und Vanillepudding. Oft kam sie mit einer kleinen Schüssel Pudding für mich an den Zaun, meistens hatte sie noch etwas Wurst oder Fleisch für Jenny oder Charly dabei. Wir mussten dann immer schmunzeln, warum sie die gute Salami von Schmidt nach nur einigen Tagen im Kühlschrank nicht mehr essen wollte. Aber das ist wohl eines, womit Oma uns besonders im Gedächtnis bleiben wird: Sie hatte feste Vorstellungen und davon ließ sie sich auch niemals abbringen. Ob Handtasche, Kaffeebecher oder Sitzordnung – Oma wusste ihren Willen durchzusetzen. Und das war auch gut so. Denn diese Stärke ist nicht selbstverständlich für jemanden, der ein Leben wie sie führen mußte. Ein Leben, das nach dem ersten Schlaganfall ganz anders war, als man es sich als Frau in den Vierzigern erhofft. Plötzlich war sie ihrer Sprache entraubt, gesundheitlich eingeschränkt, arbeitsunfähig und damit in gewisser Weise sozial isoliert. Aber schon im Krankenhaus hatte sie sich damals entschlossen, weiterzuleben, obwohl es aus medizinischer Sicht nicht danach aussah. Es war ein „Ja“ zum Leben, das sie bis Samstag niemals hat fallen lassen. Trotz Sprachschwierigkeiten, körperlichen Gebrechen, die am Ende sogar zum Erblinden führten, habe ich sie niemals richtig jammern hören. Sie hat all diese Schicksalsschläge geduldig ertragen, ohne zu verbittern. Im Gegenteil – sie hat es oft noch geschafft, über sich selbst zu lachen, wenn ihr die Worte fehlten oder irgendetwas daneben ging. Während andere Menschen häufig aufgeben, resignieren und zynisch werden, hat sie an ihrer Eigenständigkeit festgehalten und sich selten helfen lassen. Sorgen hat sie sich niemals um sich gemacht, sondern immer um die anderen. „Oje oje“ sagte sie immer, wenn beispielsweise jemand aus der Familie mit dem Auto oder Flugzeug unterwegs war. Aber sie selbst hielt sich immer bescheiden im Hintergrund, obwohl sie Gründe genug gehabt hätte, sich auch einmal zu beklagen. Ich finde, so viel Stärke darf mit Schrulligkeit bei der Wahl von Kaffeesahne und Butter belohnt werden. Sie hat sich damit einfach gegönnt, ihr Leben, das eben nicht rundum toll verlief, nach ihrem Wunsch zu gestalten.

Wenn ein Mensch stirbt, hinterläßt er eine Lücke, die nicht zu schließen ist. Jeder von uns ist einzigartig und unersetzbar. Doch wir haben dennoch die Möglichkeit, Oma noch weiterhin bei uns zu haben. Indem wir genau das, nämlich das Nicht-Hadern mit dem Schicksal, verinnerlichen. Uns allen können Dinge widerfahren, die wir uns anders gewünscht hätten. Aber es hilft nichts, daran zu verzweifeln, sondern wir müssen dann einfach das Beste daraus machen. Und das gelingt – das hat uns Oma bewiesen – am besten, wenn man für sich sorgt und an dem festhält, was einem wichtig ist. Und wenn das auch nur die richtige Kaffeetasse ist.

Wir allen werden sie vermissen, aber dennoch bin ich froh, dass sie eine recht kurze Sterbenszeit hatte. Denn in diesen Tagen war sie so, wie sie nie sein wollte: hilflos, verzweifelt und abhängig. Sie hätte es nicht verdient, diesen Zustand, dem sie jahrzehntelang entgegengewirkt hat, lange ausgesetzt zu sein. Auch hier hat sie imgrunde wieder ihre Stärke und ihr geduldige Bescheidenheit bewiesen: Sie hat sich ihrem Schicksal gefügt und ist gegangen. Sie wollte nie im Mittelpunkt stehen und Menschen Mühe machen. Vielleicht hat sie gewußt, dass jetzt das Festhalten am Leben genau dazu führen würde – und hat sich deshalb diese Mal dagegen entschieden. Allerdings erst, nachdem alle, die ihr nahestanden, ein letztes Mal bei ihr waren. Den entscheidenden letzten Schritt hat sie zwar allein getan, aber auf ihrem Weg dorthin ist sie von den wichtigsten Menschen liebevoll begleitet worden. Genauso, wie sie uns lange Zeit liebevoll begleitet hat.

“Als Gott der Herr sah, dass der Weg zu lang, der Hügel zu steil und das Atmen zu schwer wurde, legte er den Arm um sie und sagte: „Komm heim.“ Vertrauen wir darauf, dass sie in ihrem neuen Zuhause gut aufgehoben ist. Und wenn Gott gut vorbereitet ist, dann steht die Bärenmarke Kaffeesahne sicher schon bereit.

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

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