Sprachlosigkeit

Es ist eine Vorstellung, die Ines und mich erschaudern läßt. Eine Vision, die uns den kalten Schweiß den Rücken hinablaufen läßt. Ein Erlebnis, das uns wohl für immer prägen und den Glauben an das Sprachzentrum und das kommunikative Herzblut verliere lassen würde: Seinem Gegenüber nichts mehr zu sagen zu haben. Wir haben die Gesprächsthemenverlust-Phobie!

Wer kennt sie nicht, die Ehepaare, die in der Manier von Helmut und Sabine in Walsers „Ein fliehendes Pferd“ in einem Straßencafé sitzen, schweigend. Scheinbar Stunden vergehen ehe es zur Unterbrechung der gemeinschaftstötenden Stille kommt. Meist sind es waghaltige Sätze wie „Kalt geworden, nicht wahr?“ oder „Herr Müller hat ja gestern auch schon wieder seinen Wagen gewaschen.“ Dicht gefolgt von einem „Hmmm“ – was so viel bedeutet wie „Ich will zumindest den Eindruck erwecken, dass mich noch interessiert, was aus Deinem Mund kommt.“ Mit diesem kurzen Wortaustausch haben dann beide wieder ihre Berechtigung erlangt, die nächsten zehn Minuten nichts sagen zu müssen. Das Schlimmste an solchen Paaren ist es, dass sie noch nicht einmal vorgeben, etwas anderes als reden zu tun zu haben. Man könnte doch eine Zeitung lesen oder die Augen schließen, um die Nase in die Sonne zu halten. Aber nein – diese Paare schauen immer nur stumm nach recht, links und geradeaus. Und zwingen Menschen wie Ines und mich der Wahrheit ins Auge zu sehen: Die haben sich nichts mehr zu sagen. Oh Graus!

Ich gebe zu: es ist auch wichtig, gemeinsam schweigen zu können. Und auch Ines und ich können das. Miteinander und mit anderen. Aber ich glaube, man macht einen viel harmonischeren entspannteren Eindruck, wenn man sich eigentlich etwas zu sagen hätte, als die Menschen, die resigniert das Schweigen über sich ergehen lassen. Denen sieht man die erschütternde Sprachlosigkeit an.

Jüngst machte ich die Erfahrung, dass der Gesprächsthemenverlust nicht nur jahrzehntelang verheiratete Paare, sondern durchaus auch junge Freundschaften treffen kann. Mir ist wohl die perfideste Variante widerfahren: ich war nicht darauf vorbereitet und mußte drei Tage in diesem Zustand verbringen. Konfrontationstheraphie übelster Sorte. Ich bin reif für eine Selbsthilfegruppe der Gesprächsthemen-Phobiker!!! Das Leben ist so voll von Dingen, Gefühlen und Ideen, über die es sich zu sprechen lohnt. Humoristisch, nachdenklich, amüsiert, ironisch, begeistert, aufgeregt, ernst… Die Vielfalt ist doch nun wirklich unerschöpflich. Und dennoch klappt es nicht mit jedem. Die engsten Freunde sind meist die, an deren Lebenswelt man gedanklich und sprachlich anknüpfen kann. Die, bei denen es kein aktuelles Ereignis geben muss, um sich doch etwas zu sagen zu haben. Die, für deren Sicht auf die Welt man dankbar ist, weil sie entweder ähnlich zur eigenen oder in nachvollziehbarer Weise vollkommen anders und damit bereichernd ist.

Wenn es zum Gesprächsthemenverlust kommt, schnappt oft eine Falle bei mir zu: Ich plappere. Ich spiele die Entertainerin, die es dem Gegenüber leicht machen möchte. Nicht umsonst mache ich daher wohl den Job, den ich mache. Die Menschen um mich herum finden es meist erfrischend, dass ich ihnen etwas anbiete, an das sie anknüpfen können. Tun sie das, bin ich Ihnen wiederum sehr dankbar. Tun sie es nicht, komme ich in Bedrängnis. Denn dann rollt die Katastrophe, der Gesprächsthemenverlust, unaufhaltsam auf mich zu. Besonders schlimm sind in diesem Fall Telefonate!

Sprache, Witze, Wortspielereien – welch Wonne! Und welch Glück, viele Menschen zu kennen, mit denen ich das alles scheinbar ewig teilen kann.

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

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