Blondkäppchen

Blondkäppchen und der böse Wolfrum.
Märchen, aufgezeichnet vom Gebruder Eich.

Es war einmal ein Mädchen, das alle nur „Blondkäppchen“ nannten.
Eines Tages, als Blondkäppchens Eltern die hohen Futterkosten und die herumliegenden Socken ihrer Tochter mal wieder leid waren, nahm Blondkäppchens Papa seine Tochter an die Hand und sagte: „Kind. War schön bis jetzt, aber wir brauchen das Geld, das wir bisher für Deinen Lebensunterhalt verquast haben, für einen neuen Toaster. Von nun an kümmert sich der liebe Onkel Bafög um Dich. Mach´s gut und laß Dir Zeit mit dem Schreiben, Briefmarken sind teuer.“
Und dann drückten sie Blondkäppchen einen alten abgewetzten Schuhkarton mit allen ihren schönen Anziehsachen darin in die Hand, und ein Ticket für eine Dritte-Klasse-Kutsche von Ryancoach. Einen Tag darauf, im eisigen Morgengrauen eines verregneten Tages, ging es los, zum Studieren in ein fremdes, dunkles Land, wo die Menschen ganz, ganz eigenartig sprachen.

Blondkäppchen stieg aus der Ryancoach-Kutsche und wurde prompt von einem MLP-Vertreter angegangen. „Studierst Du BWL?“ fragte das gelige Männchen in dem Armani-Anzug aus der Vorjahreskollektion. „Oder Medizin? Jura? Nun?“. Wie finster das Männchen blickte, als Blondkäppchen verschüchtert „…schichte“ nuschelte, und „…nistik“. Da lief das MLP-Männchen rot an, murmelte etwas von „…Bettelstab“ und „…kann nur reich heiraten“ und zischte davon, die knochige Nase gerichtet auf eine nicht ganz so blonde Mitreisende, die eben ihre roten Chanel-Stiefelchen aus der Kutsche streckte.

Nach Wochen hatte Blondkäppchen endlich ein Heim in der fremden dunklen Stadt, wo die Leute so komisch sprachen gefunden: ein fensterloses Stüblein bei der Witwe Koselberger, direkt neben dem Abort. Blondkäppchen konnte endlich den Schuhkarton abstellen und ihre ganzen schönen Anziehsachen an den Nagel hängen, der aus dem brüchigen Fensterrahmen hervorstand.

Dort lebte Blondkäppchen viele lustige Jahre, und ihr bester Freund wurde ein Korbstuhl in der Ecke des Stübleins. Und wie die Jahre ins Land gingen, hatte Blondkäppchen schon fast vergessen, was ihre die Witwe Koselmann am Ende des ersten Jahres zugezischt hatte, als Blondkäppchen wieder einmal zum Seminar ging- weniger zum Lernen, mehr, weil es dort nicht so schrecklich zog wie in dem kleinen Stüblein. „Hüte Dich vor dem Lehrpersonal!“ hatte die Witwe gezischt, „und übrigens: vor den MLP-Leuten mußt Du keine Angst haben, die wollen nichts von Dir, Du bist ja Historikerin“. Blondkäppchen hatte lange gebraucht, um Witwe Koselbergers höhnisches Lachen einigermaßen zu vergessen.

Eines schönen Tages, es hub gerade an, ein richtiger fieser Winter zu werden, brachte der Briefträger zwei Briefe für Blondkäppchen: einen roten, offiziell aussehenden und einen, den sie Tage vorher selbst an ihre Eltern geschickt hatte. Darauf stand, in der Schrift ihres Vaters: „Unbekannt verzogen, äh, ausgewandert nach Australien, der Toaster war doch nicht so teuer, und da hat´s gereicht für den Flug, machs gut – und hüte Dich vor dem Lehrpersonal!“.
„Was will Vater mir wohl sagen?“ dachte Blondkäppchen und machte den roten Brief auf. „Mach hinne mit Deiner Prüfung“, stand da auf dem Papier der Universität, „wir brauchen Deinen Studienplatz für einen, der dem Insitut einen neuen Toaster versprochen hat, unser alter ist kaputt“.

Da Blondkäppchen die hungernden Menschen am Institut leid taten und sie sowieso nicht noch mehr lernen konnte (ihr Kopf war bereits so gut wie voll), ging sie zum Prüfungsamt, um sich anzumelden. „Können Sie einen Toaster reparieren?“ herrschte die Studierendenskeretärin das arme Blondkäppchen an. „Nein? Schade, dafür hätte ich Ihnen den Magister so gegeben, aber nun füllen Sie das hier mal aus, Kindchen!“. Blondkäppchen holte aus ihrer zerschlissenen Jacke den Kugelschreiberstummel, den sie sich für besondere Gelegenheiten aufgespart hatte, und füllte das Formular aus. Als sie beim Punkt „Lehrpersonal“ angekommen war, war sie schon ganz müde von der ungewohnten Wärme, die die Hallen des Prüfungsamtes erfüllte. Die Augen fielen ihr fast zu, und so sah sie nicht recht, was sie da genau ankreuzte. „Sind Sie sicher?“ Die Studierendensekretärin schielte über ihre dicken Brillengläser und legte sogar ihre Nagelfeile zur Seite. „Bei DEM wollen Sie Prüfung machen?“. Da nun aber Blondkäppchen es sich bei zahlreichen Abenden als Servicekraft in der „Palmbräugasse“ angewöhnt hatte, auf einen gewissen Ton in der Stimme ihres Gegenübers, sagen wir es einmal so, bockig zu reagieren, entgegnete sie der Verwaltungsfachangestellten nur „Ja. Sicher. Was denn sonst?!“ und verließ das Prüfungsamt.

Im Kerzenschein des Stübleins las sie mit zusammengekniffenen Augen, was da stand: Prüfer: Prof. Dr. Wolfrum. „Oh Schreck!“ dachte da das Blondkäppchen. Ausgerechnet Wolfrum, den sie alle nur den „Strich- und Faden- Abbürster“ nannten! Der Teufel, der sich unter einer Hugh-Grant-Frisur tarnte! Untoter, der er sein mußte, hatte er sicher schon Generationen von….da fiel ihr Blick auf den Tengelmann-Prospekt, der offen auf dem Boden lag, da wo ihn der Wind unter der Tür hindurch in ihr Zimmer geweht hatte. „1a Fleischwurst, 100g 1,39“ stand da, „Iglo Schlemmerfilet, verschiedene Sorten, 2,22“, und direkt darunter „Hüte Dich vor dem Lehrpersonal!“. Das konnte kein Zufall sein.

Als der Tag gekommen war, ging Blondkäppchen früh am Morgen in die Grabengasse, genauer gesagt, sie schlich, gebeugten Hauptes. „Ob dieses Abbürsten wohl weh tut?“ dachte sie, und „was wohl Strich und Faden bedeutet?“. Dann öffnete sich die schwere dunkelbraune Holztür, und wie ein eisiger Pfeil (so kam es ihr zumindest vor, sie neigte schon immer etwas zur Theatralik) traf sie der Blick von Professor Doktor Edgar Wolfrum. Fast wäre sie gestrauchelt, als er „Na?!“ zu ihr sagte. Setzen solle sie sich, sagte Wolfrum. Keine Panik, alles werde ganz schnell gehen und keinesfalls weh tun. „Immerhin, wenigstens keine Bürste zu sehen“, dachte Blondkäppchen. Dann fiel ihr Blick auf den Fragebogen, den das Lehrpersonal ihr wortlos zugeschoben hatte: „Wie groß war Karl der Große genau?“ stand da, „und Friedrich der Große?“. „Welche von Beethovens neun symphonien war die Letzte?“und „Waaaas hat es in der Hand, mein Schatzzzzzzzzzzzzzzzzzz?“.

Da wußte Blondkäppchen mit einem Schlag, daß sie nur eine Chance hatte. Sie faßte sich ein Herz und fragte mit zitternder Stimme: „Sind sie eigentlich verheiratet? Und reich?“. Eine endlose Sekunde verging, und noch eine, und noch eine.
Dann endlich öffnete Professor Doktor Edgar Wolfrum die Augen, strahlte, und sagte „Ja! Nein! …………ich meine, umgekehrt! Mensch! Hurra!“.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann nuckeln sie immer noch abwechselnd an der Flasche Faber- Sekt und aneinander und hoffen, daß das MLP-Männchen nichts rauskriegt.

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

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