Ich bin zu selten im Viertel. Viel zu selten. Glaubt Ihr nicht? Pah, ich hab einen unschlagbaren Beweis: Ich war am vergangenen Wochenenden zum ersten Mal im „neuen“ Anziehungspunkt. Und den gibt es schon seit April mitten auf dem Ostertorsteinweg. Zwischen Flamme und Sielwallkreuzung, in Sichtweite zum Litfass und zum Coffee Corner. Gleich neben der Glasbox. Soll heißen: Der Anziehungspunkt liegt nicht versteckt in irgendeiner Seitenstraße. Auch nicht gaaanz am Ende des Viertels, wo die Dichte an Werder-Fans höher ist als die currygelben Retroschuhe an schlanken Hipsterbeinen. Nein, mitten drin im Viertel. Führt kein Weg dran vorbei. WENN man denn mal im Viertel ist. Und das war ich demnach seit April nicht. Höchstens mal beim flinken Durchradeln. Schlimm ist das, ehrlich. Gelobe Besserung.
Aber zurück zum Anziehungspunkt, einem wirklich feinen Vintage-Laden. Der ist nur quasi-neu. Bislang hatte er seinen Standort am Concordia-Tunnel. Jeder der Bremen kennt, weiß, was den Unterschied ausmacht. Jeder der Bremen nicht kennt, dem sag ich: eine ganze Menge. Denn ich kenne niemanden, der mir in den letzten sechs Jahren gesagt hat, er würde mal gemütlich entlang einer Bahnunterführung bummeln oder vor dem Besuch eines Theaterstückes noch eben ein paar 70er Jahre-Broschen kaufen (zumal das Concordia-Theater inzwischen leersteht). Ich selbst radle das kleine Stück zwischen Dobben und Schwachhauser Heerstraße nur wenige Male im Jahr. Und steige da höchstens ab, wenn eine Baustelle es nicht anders zulässt oder eine Oma vor mir kollabiert. Nicht, um dort ein bißchen zu stöbern. Von daher: Willkommen im Viertel, Anziehungspunkt, da bist Du richtig.
Auf zwei Ebenen findet Ihr im Anziehungspunkt Klamotten, Accessoires und Schuhe von damals. Damals, als die Aschenbecher noch aus orangenem Plastik waren und Prilblumen die Küchenschränke zierten. Kulleraugen anmutiger Schaufensterpuppen wachen in der oberen Etage, die Ihr über eine knalleblaue kleine Holztreppe erreicht, über Handtaschen und Schuhe – ein Paradies für die retrobewusste Göre und die schnäppchenfangende Lady. A propos Schnäppchen: Die könnt Ihr tatsächlich machen, den im Unterschied zu überwuchert teuren Preisen (beispielsweise in Berlin) für alles, was nach Vintage aussieht, baumeln hier Etiketten mit überraschend fairen Zahlen drauf. Das ist mir sofort aufgefallen. Anja Martens, Besitzerin vom Anziehungspunkt, war es immer außerordentlich wichtig, dass man sich ihre Stücke leisten kann, sagt sie. Und an dieser Einstellung hat sich trotz neuer, populärer Lage nichts verändert.
Im Erdgeschoss findet Ihr währenddessen Klamotten, Schmuck und Gürtel. Die Herren der Schöpfung sind im Anziehungspunkt übrigens in der Regel als Beratung für die Frauen gefragt: Auf den Kleiderstangen hängt nämlich die Vergangenheit der Damenmode.
Dass alle Stücke mit Sorgfalt und Liebe ausgewählt werden, wisst ihr spätestens, nachdem Ihr zwei Sätze mit Anja gesprochen hat. Sie verkörpert das Lebensgefühl der Zeit, die sie in Mode übersetzt verkauft. Und sie trägt natürlich selbst, was die Siebziger hergeben, was Ihr einfach phantastisch steht. Eine spannende Frau, wie ich bei ein, zwei (oder waren es sogar drei?) gemeinsam gezischten Feierabendgetränken erleben durfte. Ein klein bißchen Pippi Langstrumpf. Soll heißen: ein spielerischer Blick auf das Leben, eine ansteckend optimistische Grundhaltung und eine feinsinnige Beobachtungsgabe. Wenn sie einer Fremden wie mir schon so begegnet, mit wieviel Leidenschaft und Begeisterung muss sie da erst ihren Laden führen? Mit einer ganzen Menge.
In diesem Sinne: Macht es anders als ich die letzten Wochen. Bummelt mal wieder im Viertel. Und setzt Euch im Anziehungspunkt in den fetten retrogelben Ledersessel, schnackt ein bißchen mit Anja und ergattert ein tolles Stück aus alten Zeiten! Ihr werdet es mögen!
Anziehungspunkt
Ostertorsteinweg 100
28203 Bremen
Toller Beitrag! Ich muss da auch endlich mal hin…
Da ist es wirklich fein! Mein rotes Kopftuch stammt übrigens vom Anziehungspunkt. Und ich habe auch wieder etwas Neues über Bremen gelernt – durch den Concordia-Tunnel gelange ich von der Bahn zu meiner Wohnung. Und dass der so heißt, das wusste ich gar nicht.
Ganz schöne Bilder! Und überhaupt bin ich großer Fan deiner Vorstellungen. Ich merke, dass ich nach einem halben Jahr Hansestadt immer in den gleichen Ecken abhänge. Die Neustadt ist beispielsweise ein völliges Rätsel für mich. Okay, eigentlich kenne ich nur das Viertel, fällt mir gerade auf :-/
Liebe Grüße, Jules
Ach, da freu ich mich. Wenn ich Euch Lust auf Neuentdeckungen in Bremen mache, ist ein wesentliches Ziel dieses Blogs erfüllt!
Toller Beitrag ich würde mich über weitere Hinweise freuen
Der Anziehungspunkt ist wirklich der Anziehungspunkt für ausgefallene Sachen, meine Freundin schleppt mich immer mit und findet immer etwas Neues…