Eben noch mit ihrem Sohn im Kuhstall, jetzt schon wieder mit Lippenstift und Ohrschmuck auf dem Weg zum nächsten Vortrag. Gestern noch im Sauseschritt über die Grüne Woche in Berlin, heute wieder ‘nen neuen Blogpost online gestellt. Mal texten im Home-Office, mal hämmern am selbstgebauten Spielhaus im Garten. Wer Julia Nissen alias Deichdeern Nordfriesland bei Instagram folgt, der kann schon mal sprachlos-beeindruckt und mit offenem Mund ins Smartphone schauen und sich fragen: „Wie macht die das alles bloß mit Kleinkind, Geschäftsreisen, Netzwerktreffen, verspäteten Zügen, DIY-Projekten, Ferienwohnung und matschigen Gummistiefeln?“ Mir ging es jedenfalls in der Vergangenheit so und deshalb habe ich mir Antworten geholt. Bei Julia herself.
Ich wünsche Euch viel Freude beim Lesen dieses humorvollen und zugleich erkenntnisbringenden Interviews. Kleiner Spoiler: Mit dem richtigen Arbeitgeber wird Unmögliches eben möglich.
Julia Nissen über ihren Alltag als berufstätige Mutter
Julia, auf dieses Interview hab ich mich echt sehr gefreut. Endlich kann ich Dich mal fragen: Was genau machst Du eigentlich?
Hauptberuflich, also 40 Stunden die Woche, bin ich Projektleiterin beim Forum Moderne Landwirtschaft in Berlin. Gemeinsam mit einem tollen Team darf ich Bauern darin schulen, ihr tägliches Tun und Handeln auf ihren Höfen verbrauchernah zu erklären. Landwirtschaft ist nämlich ganz schön komplex. Wenn ich nicht grad Öffentlichkeitsarbeit für Landwirte mache, bin ich Mama. Und Landleben-Bloggerin. Und neuerdings auch Ferienwohnungsvermieterin.
Du bist festangestellt? Das hätte ich ehrlich gesagt nicht vermutet, weil ich Dich immer im Home-Office sehe. Da offenbart sich, welchen Seltenheitswert es hat, dass jemand mit festem Job von zuhause arbeitet, was?
Das stimmt, obwohl ich immer und immer mehr Home-Office-Menschen treffe. Gott sei Dank, ich meine wir haben 2018. Und Breitband! Hallo?!
Du warst vor Deinem Kind schon festangestellt, allerdings in einem anderen Job, in den Du nach der Babypause nicht zurückgekehrt bist. Warum nicht?
Ich möchte dir eine Geschichte dazu erzählen. Ich habe meinen alten Job geliebt wie meine alte Lieblingsjeans. Doch dann war da der Moment, in der Schwangerschaft, als ich merkte, dass die Lieblingshose nicht mehr passte. Ich legte sie erstmal beiseite, weil ich erstmal das Kind hatte und sie in ein paar Monaten ganz sicher wieder passen würde. Dachte ich zumindest. Leider war sie 9 Monate nach der Geburt immer noch zu eng, ich wollte aber unbedingt wieder Jeans tragen. Also gestand ich mir ein, dass eine neue hermuss. Der schlimmste und schönste Moment zugleich war, als ich merkte, dass ich in meiner neuen Hose mehr Luft bekam und besser tanzen konnte. Meine alte Lieblingsjeans habe ich neudeutsch „upgecycelt“. Ich schreibe jetzt nicht mehr für eine Zeitschrift, sondern auf meinem Blog – mit Gummibund.
Immer wieder höre und lese ich, dass sich Frauen in der Elternzeit selbständig machen, weil sie gern mehr von Zuhause arbeiten würden. Warum sperren sich Arbeitgeber Deiner Ansicht nach so sehr gegen familienfreundliche Modelle? Oder fordern wir Frauen sie einfach zu wenig ein?
Schon früh habe ich von zuhause eins mitbekommen: wenn du etwas möchtest, musst du das auch kommunizieren. Es kommt niemand auf dich zu und fragt dich, ob du von zuhause arbeiten, mehr Geld verdienen oder mehr Zeit für die Familie haben möchtest. Das musste ich erst lernen. Heute fordere ich es ein.
Hast Du nach Deiner Kündigung auch über Selbständigkeit nachgedacht?
Ich bin ein Sicherheitsplayer. Ich hatte mehrere gute Angebote auf dem Tisch, habe abgewogen und bei der „besten Jeans“ – um im Bild von der Frage vorhin zu bleiben – zugeschlagen. Erst danach habe ich mit meiner alten Hose Schluss gemacht.
Dein Sohn ist jetzt zwei Jahre alt. Wie ich bis auch Du häufiger mal auf Geschäftsreise und über Nacht weg. Für mich hat das immer zwei Seiten: ich genieße es durchaus, mal für mich zu sein und abends beispielsweise kein Kita-Müsli vorbereiten zu müssen, habe aber trotzdem auch einen Anflug von schlechtem Gewissen und bemühe mich, keine Stunde zu lang weg zu sein. Wie sieht das bei Dir aus?
Guter Punkt. Dass ich den Job wechselte und beruflich viel unterwegs bin, ist nur möglich, weil ich zuhause eine starke Mannschaft habe mit Mann, Kita, Schwiegereltern und Eltern, die mir den Rücken stärken und mich anspornen. Für alle ist es ok – besonders für den Lütten. Er hat halt nicht nur eine Bezugsperson, sondern mehrere. Ich bin übrigens auch so aufgewachsen und bin für meine tolle Kindheit sehr dankbar. Das selbe wünsche ich mir auch bei unserem Sohn. Sollte ich merken, dass wir den Kurs ändern, setzen wir die Segel anders.
Das schlechte Gewissen, dass du ansprichst, überkommt mich nur selten. Meistens schnalzt mich dann jemand auf Instagram von der Seite an, wenn ich auf Geschäftsreise bin. „Und was ist mit deinem Kind?“ – Die Menschen denken, glaub ich manchmal, ich binde das wie einen Hund an die A7 an und fliege in den Urlaub.
An Tagen, an denen Du reist, bist Du auch schon mal morgens um halb 5 unterwegs. Beißt Du dafür die Zähne zusammen und brühst den Kaffee stark auf oder kommst Du mit solch einen Start in den Tag gut zurecht? Wenn ja, verrate mir bitte auf der Stelle Deine Life-Hack!
Der Wecker geht um vier. Schnelle Dusche und Kaffee sind da Pflicht. Aber wenn ich dann schon in Gang bin, arbeite ich in der Bahn ab 5 Uhr auch gleich. Da klingelt mich noch keiner auf meinen zwei Telefonen an. In der Zeit bin ich am produktivsten. Das lieb ich sehr.
Vollzeit zu arbeiten als Mutter kann nur funktionieren, wenn das Kind durch andere Menschen oder eine Kita betreut wird. Wie genau macht Ihr das?
Man fragt sich immer, wer sein Kind eigentlich ganztags in die Krippe bringt. Leute, ich zum Beispiel. Montags bis freitags von 8.30 bis 16.30 Uhr – und das klappt wunderbar. Wenn die Erzieherinnen oder das Kind dann mal krank sind, wird kurz jongliert. Einen Tag bleibt mein Mann zuhause, einen ich, einen meine Schwiegereltern…da sind wir ein super Team.
Wenn ich die Ausschnitte Deines Alltags bei Instagram so beobachte, frage ich mich immer wieder, woher Du Deine Energie nimmst. Dass Du das, was Du tust, voller Leidenschaft tust, ist nicht zu übersehen. Aber gerade dann läuft man Gefahr, zu überdrehen. Wie lädst Du Deine Akkus auf?
Hah, also erstmal mach ich keinen Sport. Von daher fällt die Standardantwort wohl flach. Ich kann gut mit Stress um und unter Druck arbeiten. Wenn’s zu viel wird, atme ich tief ein und atme den Stress einfach weg. Wie ne Wehe. Das ist das einzige – neben Freundschaften natürlich -, was ich aus der Geburtsvorbereitung mitgenommen habe. Ansonsten schlafen. Ich schlafe gerne und viel und gehe häufig um 22 Uhr ins Bett. Das hilft.
Leben auf dem Land – ist das mit Kind eine Lebenssituation, die sich andere viel häufiger als Option mal durch den Kopf gehen lassen sollten? Gibt´s da wirklich das sprichwörtliche Dorf, das man braucht, um Kinder großzuziehen, oder ist das lediglich meine romantische Vorstellung als Stadtmama?
Da ist tatsächlich was dran. Das fängt bei uns schon bei der Sprache an. Viele unserer Nachbarn sprechen mit dem Lütten ausschließlich plattdeutsch. Ich finde das großartig. Ich hab es früher auch gelernt und gesprochen – allerdings nur mit Oma und Opa. Bei uns aufm Dorf passt jeder auf jeden auf. Wenn wir zum Beispiel unterwegs sind, achten die Nachbarn auf unser Haus und geben Meldung, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Andersrum genauso. Ich habe auch mal in Berlin gewohnt und da es genau umgekehrt. Ich hatte das Gefühl, ich könne auch mal drei Wochen tot in der Wohnung liegen und keiner bekommt es mit. Kommt natürlich immer drauf an, aber das würde hier nicht passieren.
Wenn das Titelthema der nächsten BARBARA „Arbeiten mit Kind“ lauten würde und Du dürfest den Artikel dazu schreiben – welche Kernbotschaft würdest Du darin unterbringen wollen?
Ich wünsche mir mehr Akzeptanz – und zwar nicht von Arbeitgebern, Politik und Co., sondern von meinem näheren Umfeld. Dazu gehören auch Kindergärtnerinnen und andere Muttis. Ich verurteile niemanden, weil er drei Jahre zuhause bleibt und andersrum wünsche ich es mir einfach. Ich glaube, dass wir erst Forderungen an die Politik oder in Zeitschriften stellen können, wenn wir alle mit einer Stimme sprechen und nicht jeder von seiner Situation auf alle anderen schließt.
Neben dem Titelthema darfst Du abschließend auch noch ein Gesetz niederschreiben, dass Arbeitgeber zu mehr Familienfreundlichkeit verpflichtet. Welcher ganz konkrete Punkt dürfte da nicht fehlen?
Dass Männer und Frauen beide Eltern sind und sich um die Erziehung kümmern. Wir fordern an allen Ecken Gleichberechtigung und die Elternzeit nimmt immer noch die Frau – und der supermoderne Mann die obligatorischen zwei Monate. Da sind uns die Städter in meiner Wahrnehmung noch Lichtjahre voraus.
Ich denke, ihr merkt es schon an ihren Antworten: Julia ist ne taffe Frau mit dem Herz am rechten Fleck, die Bock hat, etwas zu bewegen und dabei stets den notwendigen Humor inner Tasche hat. Wenn Ihr mehr davon hören, sehen und lesen wollt, empfehle ich Euch von Herzen ihren Blog, ihren Instagram-Account (die Stories vor allem!) und ihre Facebook-Seite. Urlaub machen Tür an Tür mit dem Deichdeern? Das könnt ihr hier: Küsten-Cottage. So, und jetzt schreibt Ihr Euch für das nächste Gespräch mit der Chefetage mal auf, welche Veränderungen im Arbeitsalltag ihr aushandeln wollt. Und macht das dann auch. Tschakka!
Ihr habt Interviews aus der Work is not a Kinderspiel-Reihe verpasst? Dann schaut einmal in die Übersicht und lest kluge Gedanken von Frauen wie Ninia LaGrande oder Rike Drust.