Gelingende Vereinbarkeit geht uns alle an. Oder auch: Warum Coachings für berufstätige Mütter keine Lösung sind.

Sie schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden: Coachings für berufstätige Mütter. Und dieser Trend gefällt mir so gar nicht! Dabei habe ich in den letzten Jahren selbst schon Coachingstunden genutzt , um Situationen in Ruhe zu beleuchten, und halte das grundsätzlich für sehr wertvoll. Dennoch ruft der aktuelle Anstieg der Mama-Coachings bei mir keine Jubelschreie hervor, im Gegenteil. Sie machen mir Sorgen.

Auf den ersten Blick ist ein workingmum-Coaching natürlich eine lobenswerte Sache, schafft es doch Raum für überforderte Frauen, ihren Gedanken und Gefühlen Ausdruck zu geben. Sich nicht allein mit einem Problem zu fühlen, sondern damit zu jemandem gehen zu können, der zuhört und die richtigen Fragen stellt, hat einen wichtigen Effekt. Dennoch steckt  für mich im rasanten Anstieg dieser Coaching-Angebote sowohl eine traurige Realität als auch eine gefährliche Botschaft.

Coaching für Mütter: Die Nachfrage ist hoch

Wie heißt es so schön? „Die Nachfrage regelt das Angebot“. Und so ist es vermutlich auch in diesem Fall. Es gibt einfach immer mehr berufstätige Mütter, die am Limit sind und sich in der Verantwortung fühlen, daran aus eigener Kraft etwas ändern zu müssen. Wer Termine für workingmum-Coachings vereinbart, tut dies meist mit diesem Gedanken:

„Wenn ich erst meine Prioritäten neu setze, meinen Alltag besser organisiere und ein bißchen mehr Gelassenheit gewinne, dann werde ich nicht mehr so erschöpft sein.“

Und diesen Gedanken kann ich gut verstehen. Und er ist ja auch  nicht vollkommen unzutreffend: Natürlich können Mütter aus eigener Kraft etwas dafür tun, dass ihr Berufs-Familien-Alltag sich verändert. Dass sie Erschöpfungsquellen erkennen und sie reduzieren. Ich  bin ja selbst seit fast zwei Jahren dabei, hier und da noch etwas zu justieren, meine Schwerpunkte zu hinterfragen, neue Routinen auszuprobieren… Aber ich merke eben inzwischen auch: Das alles hat Grenzen. Ab einem gewissen Punkt hat frau sich durchoptimiert und kann aus eigener Kraft eben nichts mehr tun. Ende Gelände. Aus die Maus. Mehr geht nicht.

Coaching für Mütter: Was ist mit den Vätern?

Ein Elternpaar besteht aus zwei Menschen. Das heißt: Wie das Familienleben funktioniert, das prägen ebenfalls zwei Menschen. Wenn es einem davon durch den Spagat zwischen Beruf und Familie nicht gut geht, sind beide gefragt, Lösungen zu entwickeln, Neues auszuprobieren und Prioritäten zu wechseln. Warum bin ich außerhalb meiner Google-Recherche für diesen Artikel noch nicht über Coaching für berufstätige Väter gestolpert? Die Antwort ist leicht: weil  Mental Load und Care Arbeit meist Frauensache sind. Warum habe ich noch von keinem Coaching für Arbeitgeber von berufstätigen Müttern gehört? Auch hier ist die Antwort leicht: weil es genügend Männer und genügend kinderlose Frauen gibt, die an deren Stellen Jobs übernehmen können. Und weil Frauen mit Kindern allein zum Caoching gehen statt gemeinsam mit anderen Frauen gegen die Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt zu kämpfen.

Auffällig ist auch: die Coachs für berufstätige Frauen sind – Überraschung – eigentlich immer auch Frauen. Viele von ihnen sind selbst Mütter, die sich aufgrunf ihrer eigenen kräftezehrenden Erfahrung mit Vereinbarkeit gewahr wurden, dass Frauen in diesem Bereich Hilfe brauchen.

Coaching für Mütter: Ein Unterstützung, keine Lösung!

Aber diese Hilfe kann keine Lösung sein. Im Gegenteil: Mütter müssen aufhören, die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern von Vereinbarkeit allein bei sich zu suchen. Unternehmen müssen familienfreundlich werden und verstehen, dass Home Office damit weniger zu tun hat als man gemeinhin denkt. Väter müssen den Mut haben, sich aus den Konvetionen zu lösen und Veränderungen für Eltern in der Arbeitswelt einfordern. In den Köpfen aller muss die Leistung, die Eltern erbringen, gewertschätzt werden. Wir müssen offen sein für Ansätze, in denen 30 Stunden-Wochen die Regel sind. Wir brauchen Coachings, an denen beide Eltern gemeinsam ihr Familienleben hinterfragen.

Was wir meiner Meinung nicht noch mehr brauchen sind Coachings für berufstätige Frauen. Denn die suggerieren eben nur eins: Wenn Mama sich und ihre Ansprüche mal aufräumt, dann wird schon alles geschmeidig laufen.

Nein, wird es nicht!

 

Artikel, die mir beim Schreiben dieses Textes wieder in Erinnerung kamen:

Interview mit Helene Klaar im SZ Magazin

„Mütter in der Zerreißprobe“ von Heute ist Musik

„Warum Männer sich schaden, wenn Sie keine gleichberechtigte Elternschaft leben“ auf Edition F

Vortragszusammenfassung über „Mental Load“ von das Nuf

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

3 thoughts on “Gelingende Vereinbarkeit geht uns alle an. Oder auch: Warum Coachings für berufstätige Mütter keine Lösung sind.

  1. Du sprichst mir aus der Seele. Ansätze in denen die Familie als Ganzes (also in vielen Fällen Mutter und Vater bzw die Eltern) gesehen werden sind rar bzw mir gar nicht bekannt.

    Viele meiner Freundinnen hetzen sich tagtäglich ab, einige versuchen es mit coaching, besserer Organisation (bei sich) und vermelden häufig kurzweilige Erfolge. Doch es dauert nicht lange und sie sind noch fertiger als vorher. Denn mit dem coaching oder der neuen Organisation steigt der eigene Anspruch.

    Wir versuchen als Eltern beide unseren Teil zu tragen und uns gegenseitig zu reflektieren. Wir wiegen ab, wir schauen, wo wir noch besser Verantwortung teilen bzw übernehmen können. Ich bin glücklich, einen Mann zu haben, der seine Aufgabe vollkommen ernst nimmt als Vater. Und ich weiß auch, dass wir finanziell wahrscheinlich privilegierter sind. Aber daran arbeiten wir halt gemeinsam. Und oft geht Zeit über Geld, damit alle zufrieden sind.

    Und dennoch…auch ich erwische mich dabei, meinen eigenen Anspruch wieder zu hoch zu fahren, es besser zu packen, etc. Das Bild der „erfolgreichen Mutter“ ist leider sehr tief in einem drin.

  2. Das kann ich auch genauso unterschreiben! Meine erste Reaktion auf ein derartiges Coaching wäre: Wie soll dieser Termin denn noch reinpassen? Viel wichtiger und sinnvoller fände ich es, wenn man sich beruflich weiterbildet und da stark und professionell auftritt. Tatsächlich neigen Frauen ja dazu (mich eingeschlossen), immer viel zusätzlich übernehmen zu wollen: neben Beruf und Einkauf, Kinderbetreuung am Nachmittag/Hausaufgaben/Hobbys der Kinder eben auch noch die Wäsche zu machen und die Geschenke für die Schwiegereltern zu besorgen. Wichtig wäre auf jeden Fall, diesen „mental load“ mit dem Partner zu teilen und auch mal Aufgaben abzugeben. Und sich nicht für alles verantwortlich zu fühlen. Ganz ohne Coaching.

    Bei mir persönlich versuche ich aktiv, bewusst Zeitinseln für mich zu schaffen (für Sport und weitere Hobbys). Das klappt ganz gut, weil ich selbstständig arbeite, aber natürlich fallen diese auch öfter mal genau deswegen weg. Frauen sollten sich meiner Meinung nach geradeheraus zutrauen, dass sie nicht auch noch ein Coaching für das Jonglieren weiterer Termine brauchen, sondern zu der Erkenntnis kommen, dass sie Aufgaben abgeben müssen, sollen und dürfen – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Das haben Männer schließlich auch nicht.

    Vielen Dank für die Denkanstöße – auch die weiterführenden Artikel waren sehr interessant. Jana

  3. Hallo in die Runde,

    zunächst muss ich mich outen, ich bin tatsächlich ein Coach bzw. Jobcoach speziell für Mütter und wundere mich darüber, wie dieser Artikel aufgezogen wird. Denn gerade die Themen, “wie kann ich Verantwortung abgeben und wie schaffe ich es, von meinem Partner/Umfeld usw. mehr einzufordern, um meinen Bedürfnissen gerecht zu werden und Grenzen zu setzen“, sind meist zentral in derartigen Coachings …dieser Gedanke der super Selbstoptimierung ist ein einseitiger Blickwinkel, der auch bei vielen Coaches nicht gerne gesehen wird und schon gar nicht propagiert wird. Und ja, bestenfalls sollten beide Partner ins Coaching kommen…doch ist es ja nicht verkehrt, dass Mütter den Stein ins Rollen bringen und zunächst schon mal ihre Situation beleuchten. Sollten die Ergebnisse dann nicht gemeinsam getragen werden, kann immermoch weitere Unterstützung hinzugeholt werden. Ich bin mit den Kernaussagen sehr einverstanden, aber weshalb das Problem beim Angebot von Coachings speziell für Mütter gesucht wird, kann ich nicht nachvollziehen…erfahrungsgemäß ist bei Müttern, die ähnliche Fragestellungen bereits durchlaufen haben ein riesiger Schatz an Erfahrungswert vorhanden, was wiederum Vertrauen schafft, Mut macht und andere Mütter auf ihrem Weg raus aus der Einzelkämpferfalle bestärkt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert