„Unsere Kitas: Gut und beitragsfrei.“ Oder auch: Ein Wahlplakat, das Bremer Eltern sprachlos macht

Liebe SPD in Bremen, ich weiß, ich weiß: ein Wahlkampf braucht knackige Statements und der Platz auf Plakaten ist begrenzt. Aber bei dem, was Ihr da momentan an Straßenlaternen selbstsicher über Eure vermeintlich familienfreundliche Bildungspolitik raushaut, das macht mich sprachlos. Und viele andere Eltern in Bremen auch.

„Unsere Kitas. Gut und beitragsfrei.“ Puh! Wann immer mir diese Worte derzeit im Straßenverkehr rot entgegenleuchten, muss ich ganz schön tief durchatmen. Mehr als einmal. Diese Botschaft von Euch ist nämlich verdammt frech. Und damit meine ich nicht das „frech“, das manch einer vielleicht nutzen würde, wenn mein Dreijähriger auf dem Spielplatz lachend wegläuft, wenn ich ihm den Fahrradhelm aufsetzen, er aber lieber nochmal rutschen möchte. Ich meine das „frech“, in dem vorsätzliche Manipulation und bewusste Kränkung steckt. Denn dieses Plakat tritt Gefühle und Sorgen derjenigen, die unter der Kita-Misere leiden – Eltern und Erzieher*innen vor allem – mit Füßen. Und gaukelt denjenigen, die mit Kita nicht mehr in Berührung sind, etwas Falsches vor.

Bremer Kitas beitragsfrei?

Ihr habt das textlich schon geschickt gelöst: Durch das Weglassen eines Verbes wird nicht deutlich, dass die Kitas derzeit alles andere als beitragsfrei sind. Von unserem Elternkonto gehen nach wie vor ein paar hundert Euro jeden Monat runter – und auch alle anderen Mütter und Väter in Bremen zahlen noch bis August Gebühren dafür, dass ihr(e) Kind(er) betreut sind.

Erst ab dem neuen Kita-Jahr werden die Beiträge gestrichen. Allerdings nur für Kinder über 3 Jahre. Vor dem Hintergrund, dass heutzutage nur wenige Familien in der Lage sind, ihren Nachwuchs drei Jahre zuhause zu betreuen, frage ich mich, warum es einen Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr gibt, das klassische Elterngeld maximal zwei Jahre gezahlt wird, aber die Beitragsfreiheit wiederum erst ab dem vollendeten dritten Lebensjahr greift. Seht Ihr da nicht auch ein paar Widersprüche?

Dass Ihr, liebe SPDler, den Schritt zur Beitragsfreiheit seit einigen Monaten feiert, als sei es Euer Erfolg, verstehe ich aus PR-Sicht natürlich allzu gut. Aus Sicht einer Mutter, die mit vielen Eltern bundesweit in Kontakt steht, weiß ich aber auch, dass viele andere Städte diese Beitragsfreiheit schon längst praktizieren. Ich erkenne auch, dass die Entscheidung, Eltern von der finanziellen Belastung zu befreien, vor allem dem zunehmenden Druck der Zentralen Elternvertretung und der Opposition geschuldet war. Außerdem war die Bürgerschaftswahl bereits am Horizont zu sehen. An Eurer Stelle hätte ich mich vermutlich auch zu diesem Schritt durchgerungen – um Eltern zu beschwichtigen und die bundesweite politische Abfahrtsfahrt der SPD in Bremen mit guten Botschaften abzuwenden. Aber sich so offensiv und selbstbewusst mit der Entscheidung, die für Eltern selbstverständlich grundsätzlich eine gute ist, zu rühmen – das ist wirklich unpassend.

Bremer Kitas gut?

Gut. Aha. Was denn genau? Die Verlässlichkeit der Betreuung könnt ihr nicht meinen. Allerorts fehlt Personal und Eltern sind regelmäßig darauf angewiesen, außerplanmäßige Schließtage oder Einschränkungen der Betreuungszeiten abzufedern. Sehr zum Unmut von Arbeitgeber*innen. Sehr zuungunsten des familiären Friedens und dem permanenten Versuch, die Hektik im Alltag mit Kind nicht zu groß werden zu lassen.

Die Zuverlässigkeit, überhaupt einen Platz zu ergattern, die ist ja leider auch nicht gegeben. Ein aktueller Weser Kurier-Artikel zeigte jüngst, welche absurden Ausmaße die fehlenden Betreuungsplätze so haben können.

Vielleicht meint ihr die Gebäude? Die Ausstattung? Ach nein, das kann ja auch nicht sein, wenn ich daran denke, dass in unserer Einrichtung noch immer Gruppen in einem improvisierten Mobilbau untergebacht sind und das Ersetzen dieses Mobilbaus in diesem Sommer vermutlich nicht innerhalb der Schließzeit erledigt sein wird, so dass drei der darin untergebrachten Kinder nun unsere Kita verlassen und sich an eine neue Einrichtung gewöhnen müssen. Das Aufstellen der Spielgeräte im Außenbereich unserer Kita hat zudem auch mehrere Jahre auf sich warten lassen. Baulich vergebe ich in unserem Fall jedenfalls keine 2 als Schulnote.

Möglicherweise möchtet Ihr mit „gut“ suggerieren, dass die pädagogische Arbeit eine hohe Qualität hat. Nun ja… wo ständig Personal fehlt und permanent der Dienstplan umstrukturiert wird, können sich Teams kaum auf die inhaltliche Arbeit in ihren Gruppen konzentrieren. Oder Ausflüge machen. Selbst wenn sie es wollen.

Ach, ihr meint die Mitarbeiter*innen selbst, wenn ihr von „gut“ sprecht? Ja, die verdienen wirklich mal ein Lob. Trotz mieser Bezahlung und anhaltender Dauerbelastung werden sie nicht müde, geduldig einer Zweijährigen zu erklären, warum der Klebestift nichts im Bett für den Mittagsschlaf zu suchen haben. Wechseln Windeln und schlichten Streitigkeiten. Überlegen sich Rituale für Geburtstagskinder und verkleiden sich zu Fasching. Geben das Beste, jeden Tag. Bleiben trotz Krankheit im Dienst, weil sie wissen, was für Familien auf dem Spiel steht, wenn sie ausfallen.

Was ich allerdings nicht verstehe, sollte Euer „gut“ ein verstecktes Lob an die Mitarbeiter*innen in den Kitas sein – warum sollen sie künftig unterschiedlich entlohnt werden? Sind die einen besser als die anderen? Ist der Job nicht für alle anstrengend und fordernd? Das müsst Ihr mir echt mal genauer erklären.

Bremer Kitas – unterversorgt und jahrelang vernachlässigt

Allen Kindern bringen wir Erwachsene bei, dass man die Wahrheit sprechen soll. Sollten wir uns als Erwachsene nicht ebenso daran halten? Auch in Marketingabteilungen und Partei-Pressestellen? Ja, klar, ein Plakat, auf dem „Unsere Kitas – unterversorgt und jahrelang vernachlässigt“ steht, das macht sich nicht so gut. Und ja,ihr habt jetzt aus drängender Not heraus begonnen, auf die Kita-Problematik zu reagieren. Aber Ihr hättet  eine Kompromisslösung nutzen können: Einfach gar nichts zum Thema Kita in Eure Werbekampagen #wirliebenbremen aufnehmen.

Damit hättet Ihr Eltern und Erzieher*innen jedenfalls einmal weniger auf die Füße getreten.

P.s. Seit einigen Tagen gibt es den Blog „Bildungsliga Bremen“, den zwei Bremer Mütter ins Leben gerufen haben. Dort berichten verschiedene Bremer Bürgerinnen und Bürger über ihre Erfahrungen mit dem Bremer Bildungssystem. Schaut mal rein und erzählt es weiter. Und was noch viel besser wäre: Reicht doch auch Eure Erfahrungen ein!

https://www.rtlnord.de/nachrichten/kurz-vor-der-wahl-spitzenkandidaten-der-spd-und-cdu-diskutieren-ueber-bildungspolitik.html

 

P.P.s. Im RTL-Wahlduell, das vergangenen Freitag ausgestrahlt wurden, sollten sich die Spitzenkandidaten zum Thema Bildungspolitik und auch zu ein paar Statements von mir zum Thema Kita äußern. Diese Statements sind (sehr diplomatische) Auszüge eines langen Beitrags, der Ende Mai in vollem Umfang ausgestrahlt wird. Das Video findet ihr hier : >> RTL NORD

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

6 thoughts on “„Unsere Kitas: Gut und beitragsfrei.“ Oder auch: Ein Wahlplakat, das Bremer Eltern sprachlos macht

  1. Liebe Sandra,
    ich bin so froh, meiner Kinder nicht in Bremen betreuen lassen zu müssen. Dass die Beitragsfreiheit die Qualität überhaupt nicht verbessert, sehen wir hier in Niedersachsen. Nicht einen Euro erhalten die Erzieher*innen hier mehr und nicht ein*e Erzieher*in wurde zusätzlich eingestellt oder die Gruppengröße verringert. Auch wir haben die Beitragsfreiheit ab 3. Das hat zur Folge, dass das Drehtürprinzip in unsere Krippe einzugehalten hat. Kind 3 Jahre alt, zack in die Regelgruppe, neues Krippenkind rein. „Ruhe“ & „Routine“, die in der Altersgruppe nötig wären, gibt es nicht mehr.
    Es war hier ein dummes Wahlgeschenk der CDU und das Gesetz mit der heißen Nadel gestrickt.

    Sind normalerweise Tagesmütter nicht ab 3 Jahren beitragsfrei, Kitas schon. Um den TGM aber nicht Konkurrenz zu machen, sondern sie zu stärken, übernehmen einige Landkreise auch die Kosten der TGM ab 3 Jahren vollständig. Andere Landkreise übernehmen weder die Kosten ab 3 und kürzen gleichzeitig den Zuschuss auf 0 Euro, mit der Begründung, das Kind könne jetzt in eine beitragsfreie Kita wechseln. Was nicht überall mitten im Kitajahr möglich ist.

    In Bremen hat es nur einen Vorteil: die Anträge bei der Elternbeitragsstelle sinken automatisch. So löst man auch Probleme 😉

  2. …aber dafür werden doch jetzt die Erzieher*innen in Bremen, die in einer KiTa mit einem hohen Sozialindex arbeiten, nach 8b bezahlt.

    Leider arbeite ich in einem bildungsnahen Einzugsbereich. Nach über fünfundzwanzig Jahren find ich das schon heftig, dass jetzt Untersvhiede gemacht werden. Mach ich meinen Job nicht auch qualitativ sehr gut, warum bekomme ich nur 8a?

  3. Liebe Sandra, Du hast mir aus dem Herzen gesprochen. Auch ich ärgere mich tagtäglich auf dem Weg zur Kita über dieses Plakat.
    Ich habe Deinen Artikel direkt an viele Eltern weitergeschickt und alle waren sehr beeindruckt. Ich denke, Du hast genau die richtigen Worte für viele gefunden! Danke!

    1. Ich war vor etwa 8 Jahren Teil des Vorstandes in der Zentralelternvertretung für Kinder in Kindertageseinrichtungen in Bremen. Eine unserer Forderungen war beitragsfreie Kitas und wenn das nicht möglich ist, eine gerechtere Beitragsordnung. In den vergangenen Jahren wurde per Gericht bestätigt, daß die Beitragsordnung in der Form keinen Bestand mehr haben darf (Überraschung) und ab Sommer werden nun die Kindergarten-Kinder beitragsfrei (nicht U3!!!) – warum? Weil die SPD in Bremen so viel für Familien macht? Nein, weil es eine Bundesvorgabe ist. Es gehört verboten, solche Plakate aufzuhängen. Gleichzeitig sehe ich Herrn Joachim Schuster auf Plakaten für die Europawahl. Er war seinerzeit der Staatsrat, der unsere Vorschläge torpediert hat. Wir hätten keine Ahnung. Außerdem sollten wir uns glücklich schätzen, daß die Kitas in Bremen so günstig sind… das war seine Aussage. In diesem Zusammenhang die Plakate zu sehen… ja, auch mir fehlen die Worte.
      Über Qualität möchte ich an dieser Stelle lieber gar nicht erst reden, dafür reicht der Platz nicht. In Bremen gibt es wenige gute Kitas, und wenn dann ist es dem Personal zu verdanken, nicht den Vorgaben aus der Politik!

  4. Liebe Sandra,
    du triffst den Nagel auf den Kopf! Genau so sehe ich das auch! Unsere Kitas sind weder gut noch beitragsfrei.
    Das Plakat der SPD ist lächerlich, beschämend und macht einen richtig wütend!
    Viele Grüße,
    Andrea

  5. Liebe Sandra,
    wo kann ich hier unterschreiben? Du bringst es auf den Punkt.
    Ich bin so froh dass unser Sohn inzwischen in der Schule ist.
    Es hatte so schön angefangen mit einer zauberhaften Tagesmutter. Dann, mit 2,5 Jahren kam unser Sohn in eine der größten Kitas in Bremen und alles war anders. Genervte Erzieherinnen, eine schlechte Leitung, ständig Ausfälle und Probleme. Zwischendurch überlegte ich ernsthaft, alles hinzuwerfen und ihn selbst zu betreuen. Dazu steigerte sich unser Beitrag von 250€ auf 400€. Wir gehören nämlich zu den Besserverdienenden. Laut Bremen. Mehr zahlen für immer schlechtere Leistungen.
    Ich erwarte gar nicht viel von einer Kita, aber ich möchte nicht noch einmal erleben dass unser Sohn nur mit größtem Widerwillen und unter Tränen in die Kita muss.
    Als ich das Wahlplakat zum ersten Mal gesehen habe, war ich unfassbar wütend.

    Danke für Deinen Beitrag.
    Liebe Grüße von Nicole

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