Vormittags im Meeting-Raum. Es geht um eine Kampagnen-Idee. Argumente werden ausgetauscht, wohlklingende Marketingziele formuliert und Begeisterung geschürt. Wie immer gibt es ein Alpha-Tierchen. Wie so oft ist es ein Mann in Leitungsposition. Die meisten in der Runde steckt er sofort an mit seinen Buzzwords und potentiellen Erfolgsaussichten. Man müsse das jetzt unbedingt so machen, denn das hat bei so vielen schon funktioniert. Und überhaupt sei es gerade Trend. In meinem Bauch regt sich Widerstand. So gut das alles klingt, ich bin alles andere als überzeugt. Im Gegenteil: Ich bin mir absolut sicher, dass es bei der Zielgruppe nicht funktionieren wird. Ich versuche, Argumente zu finden, mit denen ich diese klare Eingebung es untermauern kann. Es gelingt mir nicht.
Sonntagsnachmittag zuhause. Es geht um die Planung der kommenden zwei Wochen. Termine werden verglichen, ToDos formuliert und Entscheidungen gefällt. Wie immer gibt es einen inneren Antreiber. Wie sooft ist es meine Vernunft. Sie steckt mit Effizienzüberlegungen und best case-Szenarien alle Skepsis in die Tasche. Das könne man schon so machen mit dem Lütten. Gar kein Problem, dass er direkt nach seine Rückkehr aus dem Oma-Opa-Urlaub wieder mit der Kita startet. In meinem Bauch regt sich Widerstand. So gut das alles klingt, ich bin alles andere als überzeugt. Im Gegenteil: Ich bin mir absolut sicher, dass ich mir einen freien Montag als Puffer für ihn einplanen sollte. Ich versuche, Argumente zu finden, mit denen ich diese klare Eingebung untermauern kann. Es gelingt mir nicht.
Vermutlich kennen viele von Euch solche Momente: Entscheidungssituationen, in denen Ihr sehr genau fühlt, was ihr tun solltet, ihr das aber nicht nachvollziehbar begründen könnt. In denen Euch Eure Intuition ganz klar eine Richtung vorgibt, die auf den ersten Blick aber nicht unbedingt vernünftig erscheint.
Die Sache mit der Intuition, sie ist so großartig und gleichzeitig so schwierig. Großartig ist sie dann, wenn man auf sie vertrauen kann – und das Umfeld dieses Vertrauen teilt. Schwierig ist sie dann, wenn wir sie nicht wahrnehmen (was laut diesem taz-Interview auch durch Stress verursacht werden kann) oder die Menschen um uns herum auf Teufel heraus wissen wollen, warum man eine Entscheidung treffen möchte wie man sie eben treffen möchte.
„Ihr Gefühl sagt Ihnen das? Pff!“
Ich hatte eine Menge Meetingraum-Situationen wie die oben beschriebene. Das Berufsleben ist geprägt von Besprechungen und darin werden nun mal vorwiegend Argumente ausgetauscht. Ein Einwand à la „Mein Gefühl sagt mir, dass es am Ende nicht funktionieren wird“ wird in der Regel nicht ernst genommen. Schon gar nicht, wenn er von einer jungen Frau kommt. Als Frau muss man ja ganz im Gegenteil den eigenen Sachverstand ständig unter Beweis stellen – Zahlen aus aktuellen Statistiken oder Zitate aus aktuellen Experteninterviews zu bemühen kommt deutlich besser an als auf Erfahrungswerte oder Intuition hinzuweisen. Schade ist das. Verdammt schade. Ich habe im Laufe der letzten Jahre immer wieder erlebt, wie richtig ich mit meiner Intuition lag. Und wie unschätzbar wertvoll es ist, ihr Raum zu geben.
Mit großer Freude habe ich den Worte von Tim Mälzer im „Hotel Matze“ zu genau diesem Thema gehört. Denn seine Antwort auf die Frage, warum er so erfolgreich mit der Bullerei ist, lautet im Kern: „Weil ich auf mein Bauchgefühl höre“. Bei der Auswahl von Mitarbeiter*innen, bei der Kreation von neuen Speisen und so weiter.
Was ich allerdings wirklich schwer finde, ist, mein Bauchgefühl gegenüber anderen überzeugend zu vertreten. Wie schon gesagt: Anwesenden einer Beprechung wollen gern nachvollziehbar das Warum erläutert haben. Aber Intuition zeichnet sich nun mal dadurch aus, dass sie sich dem Intellekt entzieht. Man eben keine objektiv nachvollziehbare Erläuterung in petto hat. Das Warum kann ich meist nur oberflächlich klären, indem ich auf Erfahrungswerte hinweise. Denn Erfahrungen, da bin ich mir sicher, haben einen Einfluss auf die eigene Intuition. Wenn Tim Mälzer auf einen nachweisbaren Erfolg zurückblickt und ihn mit seinem Bauchgefühl begründet, so überzeugt das vermutlich auch den letzten konservativen Controller. Wenn unsereins vor oder in einem Projekt mit dem Bauchgefühl argumentiert, sorgt das bei vielen Menschen für Stirnrunzeln oder spöttisches Augenbrauen hochziehen.
„Hör immer auf Deinen Bauch!“
Interessanterweise wird die Intuition in einem anderen Lebensbereichen sehr gepriesen: im Leben mit Kindern. „Du darfst nicht googeln, verlass Dich auf Dein Gefühl. Das weiß es am besten“ heißt es da oft. Der sagenumwobene Mutterinstinkt sei der beste Wegweiser. Und tatsächlich stimmt das.
Als ich vor der oben beschriebenen Entscheidung stand, einen Mutter-Kind-Tag zwischen Großeltern-Urlaub und Kita-Rückkehr einzulegen, habe ich mich ausnahmsweise einmal gegen mein Bauchgefühl entschieden. Das sei bislang doch auch nie nötig gewesen, säuselte meine Vernunft. Meine Intuition sagte etwas anderes. Und sie behielt recht. In diesem konkreten Fall hätte der Lütte den emotionalen Anker für minestens einen Tag gebraucht – sein Verhalten an den folgenden Tagen ließen keinen anderen Schluss zu. Ein kleines Alltagsbeispiel, das mich mal wieder daran erinnert hat, dass ich stets meiner Intuition folgen sollte.
Aber auch in vielen anderen privaten Bereichen wird es gepriesen, das Bauchgefühl. „Soll ich das Jobangebot wirklich annehmen?“ „Hör auf Deinen Bauch!“ „Könnte ich nach einem Umzug / einer Trennung/ nach einer Kur wieder glücklicher sein?“ “ Wenn Deine Intuition Dir sagt, dass es das richtige ist, tu es.“ Im Privaten wird von Vernuftentscheidungen eher abgeraten, das Herz, das Gefühl, die Intuition soll lieber als Kompass den Weg weisen.
Ich finde die unterschiedlichen Bewertungen von Inituition im Job und im Privaten irre interessant. Und habe mich natürlich gefragt, woher er rührt. Vermutlich ist es recht simpel: Innerhalb einer Organisation möchte niemand dafür verantwortlich sein, dass etwas schief geht. Vertraut AbteilungsleiterIn XY seiner Angestellten und ihrem Bauchgefühl, so gerät er / sie gegenüber seines / ihres Vorgesetzten vermutlich in arge Erklärungsnöte, wenn die Angelegenheit am Ende doch mächtig schief läuft. Denn die einzige Erklärung, die er ins Feld führen kann, wäre: „Wissen Sie, ich habe da voll auf die Intuition meiner Mitarbeiterin Frau Soundso vertraut.“ Eine Erklärung, die meiner Ansicht nach keine schlechte ist, aber die in vielen beruflichen Kontexten einfach nocht keinen Stellenwert hat. Und da niemand angreifbar sein möchte im Job, orientiert man sich häufig lieber an belastbaren Zahlen und Expertenmeinungen. Intuition – get over it!
Ich meine: Was im Privaten so gepriesen wird, kann auch im Job nicht falsch sein. Hören wir alle doch in der nächsten Projektbesprechung mal genauer hin, wenn jemand von seinem Bauchgefühl spricht. Und trauen wir uns doch einfach mal, solch einem Bauchgefühl zu vertrauen. Oder was meint Ihr?