Nie wieder Immoscout. Oder auch: Ab aufs Land #1

Lange habe ich drauf hingefiebert, nun ist es endlich soweit: Meike, die frisch-plietsche Frau dort oben, startet  auf meinem Blog ihre Artikelreihe „Ab auf´s Land“. Ich freue mich wahnsinnig, bin ich doch fest davon überzeugt, dass ihr Thema viele von Euch berühren wird. Es Euch zum Nachdenken oder sogar zum Nachahmen anregen wird. Denn die Situation, in der Meike mit ihrer Familie steckt, werden einige von Euch kennen: Mit Kind und Kegel hat man das Bedürfnis nach Platz und Garten. Doch Platz, der ist in Städten wie Bremen rar und unbezahlbar geworden ist. Was also tun?

Welcher Kompromiss ist der erträglichere: das Bleiben im engen urbanen Leben oder der Umzug ins Umland? Meike und ihr Mann haben sich diese Frage lange gestellt und am Ende eine Entscheidung getroffen: sie ziehen raus aus Bremen. Über ihren Entscheidungsprozess, ihre ersten Erlebnisse außerhalb Bremens und die angestoßenen Veränderungen in ihrem Familien- und Arbeitsalltag erzählt sie nun einmal im Monat hier. Ein paar familienfreundliche Tipps für ihre neue Heimat in der Wesermarsch gibt´s obendrauf. In diesem Sinne: Here we go. Schön, dass Du da bist, Meike!


Umzug von Bremen aufs Land – So kam es zur Entscheidung

Uns geht es nicht anders als anderen Familien in Bremen. Wir fliehen nach Niedersachsen. Wo es neben Kühen auch bezahlbaren Wohnraum mit Gärten und Gemeinden mit Kita-Plätzen gibt. Die Entscheidung freut uns jetzt, aber das war ein dreijähriger Prozess. Denn wir lieben Bremen sehr und der Abschied fällt uns nicht leicht. Unser Weg in acht Schritten:

Phase 1: Platznot
August 2016. Baby T. wird geboren. Seit diesem Tag ist klar, dass unsere Dreizimmerwohnung in der Innenstadt mittelfristig zu klein sein wird und wir uns früher oder später etwas anderes suchen müssen.

Phase 2: Wohnungssuche
Wir suchen nach einer neuen Mietwohnung und stellen schnell fest, dass unter 1.200 bis 1.400 Euro kalt für etwa 90 Quadratmeter nichts zu kriegen ist. Wir sprechen hier von Wohnungen, die drei Jahre vorher noch für locker 900 kalt vermietet worden wären. Dennoch stehen wir uns mit zig anderen Personen die Beine in den Bauch, in der Hoffnung “dass die Wohnung ihr Geld wert ist”. Schaffen wir es dann endlich mal, eine 4Zimmer-Küche-Bad zu besichtigen, müssen wir Baby T. davon abhalten, die Herdknöpfe anzudrehen oder das Sofa vollzusabbern, während Conny und Robert (Double-Income-No-Kids) dem Makler sanft lächelnd ihre Schufa-Auskunft über den Tisch schieben. Wir hatten häufig keine Chance.

Phase 3: Kauffreude
Die Entscheidung zu kaufen reift heran. Wir schauen uns erste Häuser an – in der Neustadt, in Hastedt, in Walle, in Woltmershausen, in Huckelriede, in Sebaldsbrück. Das Ergebnis ist ernüchternd. 80 Prozent der angebotenen Häuser in unserem Budget sind Bruchbuden oder der Schnitt des Hauses ist so unmöglich, dass man dort nicht mit einer Familie leben kann. Gärten gibt es fast nie. Und den dunklen Hinterhof wollten wir – wenn wir uns schon bis an unser Lebensende verschulden – gerne hinter uns lassen.

Phase 4: Unverständnis
Wir hoffen auf die Neubauprojekte der Stadt Bremen und informieren uns über die Gartenstadt Werdersee. Der Bausenator hatte sich in der Presse schließlich damit gerühmt, dort familienfreundliche und bezahlbare Reihenhäuser bauen zu wollen. Wir lassen uns die Unterlagen zukommen und stellen fest, dass eines der günstigeren Reihenmittelhäuser 350.000 Euro kosten soll. Ich habe schallend gelacht und ein klein wenig angefangen an mir zu zweifeln. Sind wir einfach zu arm, um zu kaufen? Reicht es nicht mehr, wenn man nur bis zu 300.000 finanzieren kann? Mir ist schon klar, dass wir als Philosoph und Skandinavistin nicht zu den Spitzenverdienern unter den Akademikern gehören. Aber so schlecht verdienen wir nun auch wieder nicht. Was ist hier los?

Phase 5: Panik
Die Panikwelle beginnt – zumindest bei mir. Und sie mischt sich – Hand aufs Herz – mit Sozialneid. Während ich mich früher darüber gefreut habe, wenn alte Häuser schön saniert und Stadtteile aufgemöbelt werden, habe ich eine Weile auf jedes Baugerüst in der Neustadt mit offenem Gnatz geschaut und mir vorgestellt, wie sich im Hintergrund die Immobilienhaie die Hände reiben und sich schon darauf freuen, die Bürgerinnen und Bürger gnadenlos abzuzocken. Gleichzeitig blockiere ich all diese Altbausanierer auf Instagram, damit mir nicht ständig mein Versagen (denn so fühlt es sich an) unter die Nase gerieben wird. Meine Nerven sind runter. Ich frage mich, wie ich so verantwortungslos sein und Kinder in die Welt setzen konnte. Es ist November, die Stimmung ist schlecht und Baby T. inzwischen über ein Jahr alt. Er schläft übrigens schlecht. Ich auch.

Phase 6: Landlust
Das neue Jahr bringt neue Energie. Mit dem Jahreswechsel starten wir wieder durch – und dieses Mal suchen wir gezielt auf dem Land. Was jetzt passiert ist erstaunlich. Die Suche macht Spaß. Die Kinder toben ausgelassen durch Gärten im Bremer Umland, die Leute sind entspannt, die Preise völlig in Ordnung – und vor allem: Wir können aussuchen, was wir wirklich wollen! Ein unfassbares Gefühl. Wir sind gar nicht gefangen, in den Strukturen der Stadt. Wir können einfach gehen. Nach nur drei Monaten der Suche finden wir ein Haus in Bookholzberg mit einem unglaublich schönen Grundstück. Der Kindergarten liegt auf der anderen Straßenseite und bietet sogar Schwimmkurse an. Wir zurren die Finanzierung fest und warten auf den Termin mit den aktuellen Besitzern, um Details zu besprechen.

Phase 7: Jobverlust
Was jetzt passiert, ist der absolute Rückschlag. Die Arbeitslosigkeit bricht über uns herein und wir ziehen uns von dem Haus zurück, in dem wir in Gedanken schon den Sommer verbracht und Weihnachten gefeiert haben. Es ist grauenhaft. Wir denken heute nur an den “schwarzen Montag” zurück, der uns ehrlich aus der Bahn geworfen hat. Was jetzt kommt ist Arbeitslosigkeit, Jobsuche und schon wieder Bangen und Hoffen. Was, wenn es wieder nur einen befristeten Vertrag gibt? Was wenn wir unter den neuen Umständen keine Finanzierung hinbekommen? Wir machen hinter das Hauskauf-Thema erstmal einen Haken. Wir müssen verschnaufen, ausruhen, den Sommer genießen. Und wir heiraten. Wir heiraten den Frust einfach weg. Das tut gut!

Phase 8:
Es ist Januar 2019. Im neuen Job ist die Probezeit überstanden. Das Gehalt fließt und die Suche geht wieder los. Anders als ein Jahr zuvor haben wir aber kaum noch Zeit. Wir arbeiten zu zweit 70 Stunden in der Woche dazu kommen Pendelwege und jede Menge Dienstreisen. Einmal die Woche muss eine Babysitterin aushelfen, damit wir überhaupt irgendwie klar kommen. Wir schaffen es kaum Exposés anzuschauen oder Besichtigungstermine auszumachen. Dann ploppt bei Immoscout diese Anzeige auf – für dieses Haus. Reetdach, Traumgarten, in Lemwerder (wo es gute Kindergärten und Schulen gibt). Ein Anruf, eine Besichtigung und alles ist klar. Das Herz schlägt laut. Es wird am Ende unser Haus. Die Erleichterung ist riesig. Nie wieder Immoscout… Jetzt geht es wirklich aufs Dorf und ein neues Kapitel beginnt. Im Sommer ziehen wir um und verlassen unser eigentlich so geliebtes Bremen.

Fazit: Auch wenn ich wütend bin, dass letztlich Politik es zugelassen hat, dass wir uns ein Leben in Bremen Stadtkern nicht mehr leisten können (irgendwo am Stadtrand wäre vielleicht mit noch mehr Geduld etwas gegangen) – aber jetzt kommt ein neues Kapitel und das wird endlich gut. Punkt.  

About Meike Lorenzen

Meike liebt Bremen, zieht aber dennoch weg aus der Hansestadt. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge geht es aufgrund der urbanen Wohnungsnot in die Wesermarsch. Als vierköpfige Familie. Wie es ist, Abschied zu nehmen, was der Umzug für die Kinder bedeutet und wie das Pendeln zur Arbeitsstelle in Bremen zum bisherigen Vereinbarkeits-Rhythmus passt – darüber schreibt Meike einmal im Monat in der Kolumne „Ab auf´s Land“.

5 thoughts on “Nie wieder Immoscout. Oder auch: Ab aufs Land #1

  1. Ganz toll Reihe, Sandra! Vielen Dnak für deine offenen Worte, Meike – du sprichst mir da komplett aus der Seele. Sehr schön formuliert. „Nie wieder Immoscout“ – das wäre ein Traum! 🙂

  2. Hallo Meike,
    hallo Sandra,
    boah, das mit der Arbeitslosigkeit hat mich gerade nochmal ganz besonders betroffen gemacht. Das Gefühl kenn ich, wobei bei uns keine Finanzierung dran hing, ich verdien eh zu wenig.
    Was ich ergänzen möchte: In Bezug auf die bezahlbaren Preise im Umland kenne ich aus dem Freundeskreis aber auch schon ganz andere (Horror-) Geschichten. Das finde ich hört sich hier sehr idyllisch an, und das entspricht nicht ganz dem, was ich gehört habe. Von fragwürdigen Maklern und auch Preisen (Ganderkesee, Ottersberg), die sich eher so Richtung 350 000 € bewegen…
    Ich freue mich auf weitere Berichte, bin sehr gespannt auf Erfahrungen zum Pendeln – ich habe in Syke gearbeitet und bin morgens und abends immer antizyklisch zum Verkehr gefahren, und war immer sehr froh, nicht auf der anderen Seite zu sein.
    Wir haben mit „Stadthaus“ – also Reihenhaus ohne Innenhof, plus Garten mit stabilen 20 qm Holzhaus (25 Minuten mit Auto ohne Stau :)) , unsere Lösung gefunden, ich sehne mich allerdings regelmäßig nach mehr Natur im Alltag, und überlege daher schon, ob es nicht noch eine Alternative für uns gibt.
    Meike, ich bin überzeugt, dass eurer Schritt gut für euch werden wird. Das strahlen bisher alle Bilder aus und ich freu mich für euch! Würde euch gerne mal mit dem Rad besuchen!
    LG Nadine/Nanne

  3. Spannender Bericht! Leider können wir in der Wiener Innenstadt von solchen Immobilienpreisen am freien Markt gerade nur träumen…
    Eine Frage noch: Die 70 Stunden/MONAT sind ein Verschreiber, oder? 😀

    1. Hallo Mara! Ja! Bei 70 Stunden im Monat hätten wir echt weniger Stress 😉 Ich habe mal „Woche“ daraus gemacht! Danke für den Hinweis!

  4. Toll! Die Phasen 1-5 passen zu etwa 95 Prozent unserer Freunde und Bekannten hier in Bremen. Familien wohnen auf kleinstem Raum den jede Alternative ist der Ruin oder ein großer Abstieg. Bezahlbar ist von den Neubauten wirklich nichts mehr für Eltern, die nicht beide Ärzte oder Lehrer sind (mit Vollzeitjob)… ich bin sehr gespannt auf deine Berichte! Alles Gute!

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