Zehn Jahre Patchwork. Oder auch: Eine Hommage an all die Mütter, die zwei Familien unter einen Hut bringen

Die meisten Frauen macht ihre erste Schwangerschaft zur Mutter. Bei mir war es die Heirat eines Mannes. Sie machte mich zur sagenumwobenen Stiefmutter. Zur Bonusmutter, wie ich es lieber ausdrücke. In jedem Fall eben zur kinderlosen Ehefrau eines Mannes, der bereits zwei Söhne mit in die Beziehung brachte.  Die wohl größte Herausforderung, die mein Leben bislang für mich bereithielt. Eine Herausforderung, die mich mein Leben lang begleiten wird. Es folgen: Erinnerung, Gedanken und Erkenntnisse aus zehn Jahren Patchwork-Alltag.

An einen „bunten Haufen“ von kleinen und großen Leuten, in deren Wohnküche ein riesiger Familienkalender den Alltag aus knallenden Türen und freundschaftlichen Gemeinschaftsmomenten regelt, denken die meisten, wenn es um Patchwork geht. An eine Herausforderung, deren schwieriger Teil erledigt ist, sobald alle Familienmitglieder ihren Platz im Gefüge gefunden haben und keine Sätze à la „Du hast mir gar nichts zu sagen, Du bist nicht meine Mutter!“ mehr fallen. Die gute Nachricht vorweg: Solche Sätze habe ich in den letzten zehn Jahren nicht einmal gehört. Die weniger aufbauende Nachricht: Es wird immer anders, aber niemals leicht.

Patchwork-Familie: Ich hatte ja keine Ahnung

Aber fangen wir mal vorne an: 2009 lernte ich meinem Mann kennen. Dass er Kinder hat, das wusste ich vergleichweise schnell, aber ich hatte offengestanden keine Vorstellung, was das für meine Zukunft bedeuten könnte.  Als Einzelkind aus einem intakten „konventionellen“ Elternhaus  waren die Begriffe „Scheidung“ und „Patchwork“ für mich eben genau das: Begriffe. Aneinanderreihungen von Buchstaben, deren Definition ich selbstredend kannte. Ihre konkrete Alltagsbedeutung mit all den emotionalen Fallstricken für sämtliche Beteiligte kannte ich damals allerdings nicht.

Ein anderer Grund, warum ich dem Ganzen anfangs nicht die Bedeutung zumaß, die ich heute alltäglich erlebe:  Ich war über beide Ohren verliebt. Viele von Euch haben sicher selbst schon einmal erlebt, dass in diesem emotional-intensiven Glückszustand jede, wirklich jede, Herausforderung machbar erscheint. Dass potentielle Probleme so weit entfernt scheinen, dass sie nicht daran hindern, den geliebten Menschen immer weiter an sich heran und die Beziehung immer stabiler werden zu lassen.

Irgendwann jedenfalls war alles so stabil und ernst, dass ein Zusammentreffen mit den Kindern folgerichtig war. Wir entschieden uns, dass die beiden Jungs den Zeitpunkt bestimmen dürfen. Als wir dann Wochen später alle gemeinsam zum Angeln fuhren, zeigte sich, dass das die absolut richtige Entscheidung war.

Ungefähr ein Jahr später zogen mein Mann und ich dann zusammen. In ein Haus, das genügend Platz für Patchwork bietet. Ebenfalls eine richige Entscheidung, denn Patchwork braucht Raum, ganz buchstäblich. Konkret bedeutete das bei uns: je ein Zimmer für die Bonussöhne und ein Zimmer allein für mich. Denn schon damals spürte ich: ein klein wenig Privatssphäre zu behalten, in die ich mich komplett zurückziehen kann, ist wichtig.

Patchworkfamilie: Das Leben zu viert

Ich fühlte mich im Zusammenleben mit den zwei Jungs, die zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre und 8 Jahre alt waren, nie wie jemand, für die der Begriff „Mutter“ auch nur in Ansätzen der richtige wäre. Ich fühlte mich als Weggefährtin und temporäre Mitbewohnerin. Als Mitbewohnerin, die das Recht hat, ein paar Spielregeln aufzustellen. Es gab mich und meinen Mann. Es gab meinen Mann und seine zwei Söhne. Ein vierköpfiges Wir im Sinne einer Familie, das fühlte ich nicht.

Die ersten Jahre im Leben als kinderlose Frau in einer Patchworkfamilie waren Lehrjahre voller Höhen und Tiefen. Ich startete optimistisch, bemühte mich stets um gute Stimmung und gemeinsame Aktivitäten, die uns zusammenwachsen ließen. Ich wollte meinem Mann eine Stütze sein und zeigen, dass er sich meiner Solidarität und Toleranz sicher sein kann. Ich wollte schlicht und ergreifend nichts tun, was man einer Stiefmutter klischeehaft nachsagt. Hohe selbstgesteckte Ansprüche an mich waren das, in gewisser Weise aber auch an alle anderen.

Was ich nach einiger Zeit merkte: Es ist unmöglich, meine Erfahrungen und Wünsche, wie Familie gelebt wird, mit drei Menschen umzusetzen, die aus ihren Herkunftsfamilien ganz andere Strukturen und Dynamiken kennen und von denen zwei diese auch nach wie vor die meiste Zeit ihres Alltags leben. Ich hatte das mit viel Energie versucht, ohne es zu merken. Was ich merkte, war lediglich, dass ich viel säte, aber wenig erntete. Dass ich die ausgesäten Samen mit Gießkannen voller Zuversicht goss, mein Mann sich über die ersten Keimlinge, die ihre Köpfe aus dem Boden steckten, aufrichtig freute, aber immer wieder alles vertrocknete, sobald ich mich nicht um den kleinen Familiengarten kümmerte. Manchmal trampelten Kinderschuhe auch einfach über die zarten Pflanzen. Ohne bösen Willen. Traurig und wütend war ich dennoch häufig. Ich hatte einfach nicht kapiert, dass unser Familiengarten nicht neu angelegt wurde, sondern unter der Erde schon eine ganze Menge Wurzeln und Pflanzenreste aus der Vergangenheit Platz beanspruchten.

Irgendwann begann die Sehnsucht nach etwas anderem. Nach etwas Leichterem. Ich sehnte mich nach Privatssphäre. Nach Ordnung im Bad und in der Küche, die nicht verloren geht, sobald eines der Kinder geduscht oder sich ein Brot geschmiert hat. Nach einem Ende des Termin-Tetris, wenn mal wieder Urlaube zu planen waren. Nach Schwiegereltern, die beim Zuhören über die Planung unserer anstehenden Hochzeit nicht Anekdoten über die erste Eheschließung ihres Sohnes sinnieren. Danach, dass meine Lieblingssofaecke mit den schönen Kissen nicht besetzt ist, wenn ich ins Wohnzimmer komme. Danach, beim Familienessen immer frei über alles reden zu können, ohne im Hinterkopf überlegen zu müssen, welche Fallstricke sich hinter Informationen auftun können, wenn die Kinder sie beiläufig in ihrem anderen Zuhause erzählen. Ich sehnte mich nach einer klassischen Beziehung ohne Altlasten. Und kam mir dabei schlecht vor. Sagte mir selbst immer wieder, dass ich es mir so ja nun mal ausgesucht habe und der richtige Mann mit Kindern ja wohl immer noch besser wäre als der falsche ohne.

Besser wurde es, als ich aufhörte, das aus meiner eigenen Kindheit und meiner Vorstellung von Familie mitgebrachte Saatgut immer wieder auszusäen. Endlich verstand, dass die Erde in unserem Familiengarten anders ist als in einem neu angelegten Beet. Als ich achselzuckend akzeptierte, dass meine Vision eines Familienalltags nicht umzusetzen ist. Ich investierte nicht mehr so viel Zeit und Mühe in das Miteinander, erwartete dadurch aber auch weniger. Was desillusiniert klingen mag, war eine Entlastung. Für uns alle. Das Abstreifen des Selbstverständnisses der Familienmanagerin schonte meinen Energiehaushalt und plötzlich waren die wiederkehrenden Brötchenkrümel nur noch nervig, aber kein Grund mehr, meine gesamte Lebenssituation in Frage zu stellen . Und das wiederrum stärkte meine Beziehung.

Und auch Hilfe von außen tat in den ersten Jahren gut:  Wir suchten zwei-, dreimal das Gespräch mit einer Familientherapeutin, die auf Patchwork spezialisiert ist. Denn in jeder Situation, in der einem das Know-how zur Lösung fehlt, lohnt sich der Gang zum Spezialisten. Ich schneide ja auch meine Haare nicht selbst oder repariere den Motorschaden am Auto. Das können andere nämlich erheblich besser. Weil sie jeden Tag beruflich damit zu tun haben und daher Kniffe und Ratschläge kennen, die ich mir nicht mal selbst ranschaffen kann. Diese Familientherapeutin war es, die mir unmissverständlich deutlich gemacht hat, dass Patchwork niemals auch nur annähernd wie eine klassische Familie funktionieren wird – und dass das auch völlig in Orndung ist.

Es folgten ruhigere Zeiten, deren laute Momente nicht der Patchwork-Situation, sondern der inzwischen beim Großen eingetretenen Pubertät geschuldet waren. Es folgte unsere Hochzeit. Und ein Jahr später wurde ich schwanger.

Patchworkfamilie: Das Leben zu fünft

Die Geburt des Lütten, sie hat das Patchwork-Leben nochmal völlig umgekrempelt. Eher unterschwellig und langsam. Aber ja, während ich beim Schreiben dieses Artikels darüber nachdenke, so fällt mir das deutlich auf. Zum einen musste ich meine wohltuende „Ist mir nicht mehr so wichtig, wie der Alltag hier an den Besuchstagen/ in den Besuchswochen läuft, ich mach einfach mehr mein eigenes Ding“-Haltung wieder aufgeben. Denn jetzt färbt alles, was an diesen Tagen bei uns passiert , ja auf mein Kind ab. Je älter der Lütte ist, umso mehr. Große Brüder sind Vorbilder, das merke ich inzwischen überdeutlich. Es ist daher nicht egal, was sie vorleben und wie sie über Themen sprechen.

Versteht mich nicht falsch, sie sind keine Krawall-Typen, die Schlimmes tun und Unflätiges sagen. Aber ob viel oder wenig Fernsehen geschaut wird, ob bestimmte Witze gemacht werden oder nicht, ob einander helfen cool oder uncool ist, ob Verabredungen und Regeln eingehalten werden oder Verbindlichkeit keinen Stellenwert hat – das macht jetzt einen erheblichen Unterschied. Es prägt. Und deshalb mische ich mich jetzt wieder mehr ein und versuche darauf zu achten, dass mein Kind auf die Weise groß wird, wie es zum Wertesystem, das meinem Mann und mir wichtig ist, passt.

Das sei an dieser Stelle nämlich gesagt: Glücklicherweise können wir als Paar immer gut über knifflige Alltagsmomente sprechen und sind uns in den meisten Fällen einig, was uns wichtig ist. Ich glaube, Patchwork, in dem nur ein Erwachsender schon Kinder in die Beziehung eingebracht hat, kann nur so funktionieren. Wäre man sich als Paar über entscheidenden Dinge uneins, wäre es wirklich schwierig, das hinzubekommen. Wenn ich anfangs das Gefühl bekommen hätte, dass mein Mann nicht eine sehr ähnliche Vision von der Zukunft unseres Familienalltags hat, dann wären wir vermutlich heute nicht mehr zusammen.

Ich weiß noch genau, wie wir den Bonussöhnen, die inzwischen 15 und 12 Jahre alt waren, vom anstehenden Nachwuchs berichteten. Die Reaktion: sie fielen aus allen Wolken, waren aber wohlwollend. Eine Reaktion, über die ich sehr froh war, denn ich hätte eine andere sehr gut verstehen können.  Wie muss es sich nämlich für Trennungs-Kinder anfühlen, wenn ihr Vater, den sie nicht jeden Tag sehen, ein weiteres Kind bekommt, das er dann jeden Tag um sich hat? Mit dem er den Alltag lebt, der ihnen selbst nicht möglich ist? Es muss schwierig auszuhalten sein, denke ich. Umso erstaunter bin ich immer wieder, dass sie es weder uns noch ihren Halbbruder spüren lassen, dass sie uns unser „exklusives Leben zu dritt“ innerhalb der Konstellation zu fünft, nicht gönnen.

Denn Hand aufs Herz: Natürlich hat meine Beziehung zu meinem Sohn eine größere Bedeutung für mich als meine Beziehung zu den Bonussöhnen. Ich halte das für vollkommen normal und naturgegeben, aber kaum jemand, der Patchwork lebt, spricht das so deutlich aus. Ich liebe mein Kind so grenzenlos, wie ich niemanden sonst auf der Welt jemals lieben werde – und dementsprechend mehr bin ich natürlich bereit, für ihn zu geben. Ich bin selbstlos bereit auf Zeit für mich zu verzichten. Ich drücke schneller beide  Augen zu, wenn er Unordnung verursacht. Ich kämpfe bei der schwierigen Jahresurlaubsplanung zunächst darum, dass wir zu dritt eine gute Auszeit realisieren können. Ich beschäftige mich mit der Frage, in welche Kindergartengruppe er kommt intensiver als mit der Frage, in welchem Unternehmen der ältere Bonussohn seine Ausbildung macht.

Doch glaubt nicht, dass ich mich dabei immer gut fühle. Nein, ich fühle mich sogar oft schlecht. Wenn wir den Bonuskindern von unseren Urlaubplänen zu dritt berichten, aber noch nicht klar ist, ob sie mit ihrem Vater dieses Jahr verreisen werden. Wenn meine Eltern, die auf ihren einzigen Enkeln natürlich auch stolz wie Bolle sind, im Beisein der Bonuskinder euphorisch über den Lütten erzählen. Wenn ein Abendessen mal wieder ganz im Zeichen von Kleinkinddiskussionen ums richtige Durchschneiden des Brotes stand und die Bonussöhne nicht zu Wort kommen.  Ich möchte sehr wohl, dass sich alle bei uns gesehen und wohl fühlen. Merke aber gleichzeitig, dass ich mein eigenes Kind in gewisser Weise bevorzuge – was natürlich auch damit zu tun hat, dass er noch so klein ist. Ein Kleinkind steht per se stets im Mittelpunkt. Aber das allein ist es natürlich nicht. Ich bevorzuge ihn, weil er mein Kind ist. Nicht, weil ich den Bonussöhnen gegenüber in irgendeiner Weise feindlich gesinnt bin. Nein, es liegt in der Natur der Sache. Und trotzdem schäme ich mich manchmal dafür.

Und eine Sache, über die man ja am liebsten gar nicht so viel spricht, wird in Patchwork-Familien zwangsläufig auch zum notwendigen Thema: Geld. Wieviel zahlt wer für den gemeinsamen Patchwork-Urlaub? Welche  Anschaffungen gehören in den Unterhalt und welche finanziert man noch darüber hinaus? Und wie regelt man als Ehepaar in einer Patchwork-Familie eigentlich das Erbe für die Kinder? Ja, ganz genau: das Erbe. Spätestens wenn man sich darüber mal Gedanken macht, wird deutlich, dass Patchwork tatsächlich niemals endet.

Seitdem wir zu fünft sind, kommt mir eine Sache übrigens noch mehr zugute als zuvor schon: meine Freundschaft zu Katarina – denn Katarina ist in haargenau der gleichen Situation wie ich. Ihr Mann brachte ebenfalls zwei Kinder mit in die Beziehung und inzwischen haben sie auch einen gemeinsamen Sohn. Ihr glaubt ja gar nicht, wie befreiend es sein kann, sich dann und wann über tagesaktuelle oder grundsätzliche Gegebenheiten mal so richtig… entschuldigt bitte den Ausdruck… auszukotzen. Die Rücksichtnahme auf alle anderen für einen Moment über Bord zu werfen und alle Kleinigkeiten, die sich monatelang zu einem großen Berg aufgebaut haben, einfach mal rauszulassen. Und dabei sowohl zu wissen, dass man niemanden verletzt, als auch, dass man ohne weitere Erklärungen verstanden wird. Befreiend.

Patchworkfamilie: Das Leben zu siebt, elft, sechzehnt, dreiundzwanzigst…

Weihnachten, Schulfeste, runde Geburtstag… Familienfeste und ähnliche Termine sind immer wieder eine knifflige Angelegenheit in Patchwork-Familien. Wo sind die Kinder an welchem Weihnachtstag? Kann die Patchwork-Mutter mit zum Abschlussfest in der Schule oder toleriert das die Mutter der Kinder nicht? Sollten die Bonus-Großeltern allen Enkeln ungefähr gleichviel zum Geburtstag schenken, dem eigenen aber auch den hinzugewonnen? Unser Patchwork-Puzzel – und auch das aller anderen zusammengewürfelten Familien – besteht ja aus deutlich mehr Teilen, als man im ersten Moment denkt. Verwandte, ehemalige Nachbarn, die Ex-ParterInnen… Alle haben Erwartungen, ihre eigenen (manchmal sehr schwierigen) Geschichten und Gepflogenheiten. Das macht die Sache nicht einfacher, sondern führt zu Abstimmungsbedarf, den sich klassische Familien im Traum nicht ausdenken können.

Plumpes Beispiel: Man darf gespannt sein, was passiert, wenn einer meiner Bonussöhne mal heiratet und die Sitzordnung am Familientisch geklärt werden muss. Ich finde, das ist eine ganz klassische Situation, die das Dilemma aller Patchworkfamilienmitglieder gut zusammenfasst: Es gibt immer wieder Momente, in  denen man irgendwem auf den Schlips treten muss. Auch wenn man alle gern hat, es gibt ständig Entscheidungssituationen, in denen man den Mut aufbringen muss, Prioritäten zu setzen. Wohlwissend, jemanden zu verletzen. Daran führt einfach kein Weg vorbei.

Patchworkfamilie: Eine komplette Katastrophe?

Wenn Ihr es bis hierhin geschafft habt und selbst keine Patchworkfamilie habt, dann möchtet Ihr jetzt vermutlich auch keine mehr haben. Denn ja, das alles klingt alles andere als einladend und gemütlich. Aber was soll ich sagen: Das Leben geht seine eigenen Wege und wer unvoreingenommen offen für die Liebe ist, der landet eben dort, wo er sie findet. Und schwuppdiwupp, zieht man plötzlich in einen völlig anderen Kulturkreis, führt eine Fernbeziehung, muss sich vor seinen Eltern als homosexuell outen oder lebt eben  mit Kindern unter einem Dach, die nicht die eigenen sind. Und dann?

Ja dann ist das schlicht und ergreifend so und man tut gut daran, geduldig zu sein und sich immer wieder mit seinem Partner/ seiner Partnerin über Sorgen und Wünsche auszutauschen. Gemeinsam einen Weg zu finden und nicht immer darüber nachzudenken, was alles besser sein könnte. Aber eben auch nicht so zu tun, als sei alles so easypeasy wie in klassischen Partnerschaften, für die es seit Jahrzehnten Vorbilder und gelernte Rituale gibt.

Es gibt viele Familien, jede ist anders. Und es gibt viele Patchworkfamilien, von denen ebenfalls jede anders ist. Es gibt Stiefvaterfamilien, Stiefmutterfamilien, Familien mit gemeinsamen Kindern und Stiefkindern, solche, in denen die Kinder dauerhaft leben und solche, bei denen die Kinder nur zeitweise zu Besuch sind. 74 verschiedene Zusammensetzungsmöglichkeiten unterscheiden Familienforscher – meine Geschichte ist daher nur eine unter vielen und erhebt keinen Anspruch, repräsentativ zu sein.  Daher fasse ich zum Abschluss auch nur sehr allgemein ein paar Empfehlungen zusammen, die dem ein oder anderen von Euch noch Denkanstösse geben können

  •  Sucht Euch eine Verbündete: Wie oben beschrieben war und ist es für mich eine große Hilfe, mich mit Katarina über Patchwork-Situationen und Gefühle, die daraus entstehen, austauschen zu können. Schaut doch einfach mal, ob ihr analog oder auch digital Verbündete findet.
  • Nehmt professionelle Hilfe in Anspruch: Es gibt wiederkehrende Schwierigkeiten in Eurer Patchwork-Familie? Gönnt Euch einen Expertenblick von draußen. Nach ein, zwei Sitzungen habt Ihr die Dynamik, die dahintersteckt, vermutlich schon verstanden und könnt besser an Lösungen arbeiten. Lohnt sich.
  • Nehmt Eure Bedürfnisse ernst: Was für Mütter in klassischen Familienmodellen gilt, gilt in Patchwork-Situationen meiner Ansicht nach sogar noch mehr – sorgt dafür, dass Eure Bedürfnisse nicht auf der Strecke bleiben. Das erfordert manchmal den Mut, die Bedürfnisse der anderen zu übergehen, aber ihr könnt es nicht allen recht machen.
  • Seid offen für kreative Lösungen: Ob Raumverteilung, Urlaubsplanung oder Frühstücksrituale – in einer Patchwork-Familie gelingt häufig nicht, was man aus der eigenen Herkunftsfamilie gewohnt ist. Haltet daher nicht auf Biegen und Brechen an Gewohntem fest. Manchmal gibt es dann eben keinen gemeinsamen Jahresurlaub, sondern ihr als Mutter verreist mit einer Freundin, während der Mann mit seinen Kindern woanders urlaubt. Oder Weihnachten wird gemeinsam erst am 27. 12. gefeiert, weil es die Rahmenbedingungen nicht anders zulassen. Wenn Ihr immerzu an tradierten Vorstellungen festhaltet, werdet Ihr regelmäßig  gefrustet sein.
  • Zwingt euch nicht zu Gefühlen, die ihr nicht habt: Ihr müsst die Kinder, die vergleichweise überraschend in Euer Leben getreten sind, nicht lieb haben und ihnen beim Zubett-Gehen fürsorglich die Haare streicheln, wenn Ihr das nicht fühlt. Die natürliche intensive Verbindung, die Eltern zu ihren leiblichen Kindern aufbauen, kann nicht künstlich erzeugt werden.

„Mütter aus Deutschland“: Das ist meine Ergänzung

So. Fertig. Weil ich irgendwann fertig werden muss. Nicht, weil ich das Gefühl habe, tatsächlich alles geschrieben zu haben, was eigentlich geschrieben werden müsste. Einiges bleibt auch deshalb ungeschrieben, weil es zu persönlich ist. Aber ich wollte schon lange einmal etwas zu meinem Patchwork-Alltag veröffentlichen, weil ich selbst in den vergangenen zehn Jahren kaum etwas dazu gefunden habe, worin ich mich wiederfand und was mir das Gefühl gegeben hat, mit meinen Gefühlen nicht allein zu sein.

Den finalen Anstoß, es wirklich zu tun, hat mir das neu erschienen Buch „Mütter aus Deutschland“ gegeben, das ich Euch von Herzen empfehlen möchte (unbeauftragte Werbung!). Tanya Neufeldt porträtiert darin ganz unterschiedliche Mütter mit ganz unterschiedlichen Familiengeschichten und zeigt dadurch, wie einzigartig Familienleben und wie unsinnig Vergleiche unter Müttern sind. Die Geschichten darin sind wunderbar respektvoll und zugleich eindringlich erzählt, ich habe sie auf einer Zugfahrt alle verschlungen. Doch eine Mutter fehlte mir in dem Buch – die Patchworkmutter.

Und deshalb entstand dieser Text.

Der hoffentlich der ein oder anderen Patchworkmutter von Euch gut tut.

About Sandra

Ich schreibe hier über drei Dinge, die mich jeden Tag aufs Neue beschäftigen: meine Heimatstadt Bremen, meine berufliche Selbständigkeit und mein Alltag als Mutter eines Kleinkindes. Was mir am Herzen liegt: Euch anzustiften! Zu Unternehmungen an der Weser, zu Mut im Berufsleben und zu einem humorvoll-offenen Herzen für Eure Kinder. Allen Herausforderungen zum Trotz. Dass es nicht immer einfach ist, Familie und Job zu vereinbaren, darum geht es hier nämlich auch ab und zu.

13 thoughts on “Zehn Jahre Patchwork. Oder auch: Eine Hommage an all die Mütter, die zwei Familien unter einen Hut bringen

  1. Hach Sandra,
    Danke dir! Ich lebe seit etwas über einem Jahr Patchworkfamilie. Die beiden Kinder kennen sich aus der Kita, einigen Monate später haben wir Erwachsenen uns dann kennengelernt & auch nicht mehr nur als Mama von…_Papa von..wahrgenommen. Beide Expartner begrüßen glücklicherweise den Umstand, dass es eine kleine Schwester bzw einen großen Bruder gibt (2 Jahre Unterschied) & erkennen an, dass wir vier ein Plus bieten können, was sie mit jeweiligem kinderlosen Partner_Partnerin (noch) nicht können. Allerdings leben wir völlig unterschiedliche Modelle in noch getrennten Wohnungen. Vor einigen Wochen äußerten die Kinder ohne Trigger oä, dass wir zusammen ziehen sollen. Mal sehen, wie sich dann ein Wechselmodell mit „jedes 2. We bei Papa“ vereinen lassen. Bisher genießt jedes Kind seine Zeit mit mir als Bonusmama bzw mit dem Bonuspapa. Die Kinder mögen sich, mögen die jeweilige neue Person in jeder Konstellation und trotzdem bleiben die Frustmomente, wenn Erziehungsstile mit unterschiedlichen Werten aufeinander knallen, manchmal das Gefühl, was wir uns mühsam erarbeitet haben, wir durch die Mamazeit zunichte gemacht und ja, der Frust, weil fast alles eben anders und z.T. viel komplizierter ist, als bei klassischen Familien. Das ist anstrengend und manchmal möchte ich alles hinschmeißen, sehe die Zuneigung der Kinder und weiß, alle Kämpfe sind es wert. Und im besten Fall, haben die zwei einen ganzen Haufen mehr Menschen, die sie lieben und positiv prägen und begleiten. Danke dir für‘s Mut machen!
    Deine Nici

    1. Liebe Nici,

      die Zuneigung der Kinder zu spüren, ist sicher eine wahnsinnig große Motivation, nicht aufzugeben. Es wird die nächsten Jahre schwierige Situationen geben – für die wünsche ich Euch Geduld und Kraft! Deine positive Grundeinstellung ist aber schon mal die beste Voraussetzung, dass ihr sie meistern werdet!

  2. Liebe Sandra,
    Ich freue mich, dass Du diesen Artikel wirklich geschrieben hast und ich erkenne mich und unsere Situation fast eins zu eins wieder. Ich wusste, dass mein Mann einen Sohn hat, da war schon lange befreundet sind. Da der Kleine als wir ein Paar wurden gerade vier war, war es vergleichsweise einfach eine Beziehung aufzubauen und auch mit der Mutter war es erstmal entspannt, da wir uns kannten. Das änderte sich aber schnell. Wenn ich meinen Mann nicht so lieben würde und wir in vielem nicht an einem Strang ziehen würden, wären wir wohl nicht verheiratet. Ich habe mich aber auch immer weiter rausgezogen – bis unsere Tochter geboren wurde. Denn ich möchte ihr eben auch meine Werte vermitteln und da muss der Bonussohn mitziehen.
    Also, es kommt mir alles sehr bekannt vor. Bis zu den Überlegungen zum Erbe bzw. dem Testament, das wir nach Hausbau und Hochzeit gemacht haben.
    Danke Sandra, ich weiß, dass so ein Artikel nicht einfach ist.

    Liebe Grüße
    Stephanie

    1. Hallo Stephanie,

      ja, wir stecken in einer sehr ähnlichen Situation, das lese ich aus Deinen Worten auch nochmal deutlich heraus. Ich glaube tatsächlich, dass es einen großen Unterschied macht, ob Bonuskinder beim Kennenlernen noch recht jung sind oder bereits schulpflichtig.

      Ich wünsche Euch jedenfalls alles Gute weiterhin auf Eurem Familienweg!

  3. Liebe Sandra, danke für deinen Text. Als Bonuskind musste ich aber heftig schlucken. Bonuskinder haben auch irgendwann oft auch Bonusenkel, für die man um Sichtbarkeit im Leben der (Bonus-)Großeltern kämpft und das ist beschissen. Einfach nur beschissen. Weil man sich auch von eigenen Familienträumen verabschieden muss. Ohne etwas getan zu haben, dass dazu führt. Ich hab mich nicht getrennt, ich hab mich nicht verliebt. Ich bin einfach nur das Kind gewesen von Eltern, die nicht mehr miteinander könnten. Und plötzlich fühlt man sich hinten runtergefallen. Naja „plötzlich“ nicht. Man sieht es kommen und kämpft um den Platz am Tisch. Aber es scheint immer unwichtiger zu werden, dass man da sitzt. An diesem Tisch. Und dann ist da plötzlich keiner mehr. Kein Platz mehr. Und dann fühlt man sich oft auch vom leiblichen Elternteil nur noch als Bonus. „Zu viel“. Das ist schwer. Und das macht, dass ich nicht an Patchwork glaube… Je älter ich werde, desto klarer ist mir das. Ich glaube nicht daran. Irgendjemand leidet immer.

    1. Liebe Lena, wie lustig, ich heiße auch Lena und bin auch ein Patchworkkind und kann deine Verletzungen so gut nachfühlen. Auch ich habe Kinder und Stiefnichten und Ungleichbehandlungen der Bonus(groß)eltern. Die ich vielleicht besonders intensiv empfinde, weil meine eigene Stellung in unserer Patchworkfamilie damit wieder und wieder angefasst wird. Bei meinen Kindern merke ich: Ihnen fällt kein Unterschied auf (vor allem, weil wir sehr selten alle zusammen sind). Das einzige, was ich machen kann, ist, die Beziehungen so gut wie möglich zu gestalten. In dem Maße, in dem es eben möglich ist, ohne, dass ich daran frustriere. Für mich bedeutet das: Anerkennen, dass jeder (Bonus-)Elternteil unperfekt ist, wie ich auch selbst als Elternteil unperfekt bin. Und akzeptieren, dass meine eigenen Verletzungen nicht abgeheilt sind. Irgendwie ist doch jede Beziehung eine ständige Baustelle…

      1. Liebe Lena (Nummer zwei ;-)), danke für Deine Zeilen. Ich finde es unglaublich bereichernd, durch eure Kommentare auch Perspektiven von erwachsenen Bonuskinder mitzubekommen. Ich glaube und hoffe, dass ich in zehn Jahren mal mit meinen Bonus-Jungs darüber sprechen kann, wie es ihnen so ergeht. Da bin ich wirklich sehr optimistisch. Denn grundsätzlich haben wir ja kein vergiftetes Verhältnis oder so – ich hoffe, das kam im Beitrag nicht so rüber. Alles Gute für Dich und Deine Kids!

        1. Liebe Sandra, ja, Familienleben hat viele Dimensionen und sie werden immer mehr :). Ich habe übrigens auch ein tolles und offenes Verhältnis zu meiner Bonusmutter und bin sehr sehr dankbar für den Input, den sie mir in meiner Jugend geben konnte. Dass manche Sachen dennoch „anders“ sind, liegt in der Natur der Sache. Vielleicht ist es gerade die Erwartung, dass Stiefeltern ihre Stiefkinder genauso lieben sollen, wie ihre eigenen Kinder und dass Stiefkinder von ihren Stiefeltern eine absolute Gleichbehandlung erwarten, die solche kleinen Verletzungen so schwer machen? Ich werde da mal drüber nachdenken. Für meinen Mann, der aus einem anderen Kulturkreis kommt, sind die Dinge, die mir auffallen (und die mich bisweilen verletzen) völlig selbstverständlich…

    2. Liebe Lena, meine Antwort auf diese Nachricht hat Dich ja schon auf anderem Wege erreicht. An dieser Stelle aber nochmals herzlichen Dank für Deine offenen Worte, die eine zusätzliche Perspektive hineinbringen. Ich freue mich übrigens schon auf meine Bonus-Enkel 😉

  4. Danke für den Text. Ich erkenne mich so wieder. DANKE. Wir leben auch in einer relativ schwierigen Patchwork-Konstellation, bei der ich dachte, ich müsse mich hauptsächlich zurücknehmen. Aber wenn ich eins, in sechs Jahren gelernt habe: Zurücknehmen ist genau der falsche Weg. Auf sich achten, sich Freiräume schaffen und eigene Bedürfnisse ansprechen – genau das sind die Dinge, mit denen es funktioniert.

    1. Liebe Bettina, ja, das ist auch meine Erfahrung. Hat aber auch ein paar Jahre gedauert, bis ich das verstanden und dann noch akzeptiert habe. Ich wünsche Dir und Euch weiterhin alles Gute.

  5. Hallo,
    ich denke da fehlt noch ganz viel in deinem Text was du dich noch immer nicht traust öffentlich zu schreiben.
    Auch ich werde es nicht tun. Da es verletzend wäre.
    Ich bin seit 6 Jahren in Patchwork. Jeder brachte ein Kind mit, und Expartner die noch mehr Nerven kosten. Gemeinsam haben wir auch Kinder. Das Stiefkind (für mich ist es kein Bonuskind, denn Bonus ist was gutes) störte das erste Jahr gar nicht. Erst danach stellte sie sich quer und missachtet alle Regeln. Es fällt mir so schwer. Auch zu wissen das es noch viele Jahre dauern wird, die man aushalten muss.
    Niemals würde ich es wieder tun und schon gar nicht jemanden dazu raten.
    Die Liebe zu meinem Mann und vor allem zu meinen Kindern, lässt es mich aushalten.

    1. Hallo Yvonne, puh, Deine Zeilen klingen nicht so, als würdest Du Dich mit der Situation arrangiert haben. „Aushalten“, „kein Bonuskind, Bonus ist was gutes“, „niemals würde ich es wieder tun“ – das hört sich ziemlich vergiftet an. In Ansätzen verstehe ich, was Du meinst, aber so ausgeprägt ist das schon etwas, was Dir und Euch vermutlich immer wieder auf die Füße fallen wird. Habt ihr schon mal über eine Familientherapie nachgedacht? Einfach, um Gedanken und Gefühle zu sortieren? Denn Dein Bonuskind (ich bleibe bei diesem Begriff, weil es meine Grundhaltung ist) spürt diese Ablehnung ja sicher sehr – und wenn man zum Beispiel die Kommentare der beiden Lenas hier liest, sieht man ja, was man Kindern damit antut. Ich glaube, das gibt es bei Euch noch eine Menge Klärungsbedarf. Zum Wohle aller.

      Ich hoffe, Du verstehst diese Rückmeldung nicht als anmaßend, sondern einfach als ehrlich und konstruktiv.
      Sandra

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