*Artikel enthält Augenzwinkern
Urlaub auf einem Familien-Ferienhof ist schon ´ne gute Sache – vor allem, wenn man selbst nur ein Kind hat. Das erlebe ich aktuell in unserem Ostseeurlaub auf Fehmarn, wo dem Lütten zwischen Spielscheune und Pferdekoppel mit einem Dutzend anderer Kindern so gar nicht nicht langweilig wird. Urlaub auf dem Familien-Ferienhof ist aber noch etwas ganz anderes: ein eindrückliches Beispiel dafür, dass wir uns selbst manchmal als unbeholfene Anfänger bei dem anstellen, was unsere Kinder selbst mit drei Jahren weit besser beherrschen als wir selbst. Denn wenn man sich einmal anschaut, wie wir Eltern das mit der Kontaktaufnahme zu anderen Eltern so handhaben… uiuiui!
Eine routinierte Doppelmoral gehört zu uns Eltern ja irgendwann genauso so selbstverständlich wie Spielplatzsand in den Schuhen und Wechselwäsche in der Handtasche: Wir tun alles dafür, unsere Sprösslinge möglichst lang von Paw Patrol und Smartphone wegzuhalten, wissen komischerweise aber stets selbst genau, was auf Netflix gerade so läuft und welcher Instagram-Post aktuell für Furore sorgt. Wir sagen Sachen wie „Nein, es gibt keinen Fruchtzwerg zum Frühstück, Du brauchst was Gesundes im Bauch“ und holen uns eine Stunde später auf dem Weg ins Büro beim Lieblingsbäcker ein Schokocroissant. (Selbstverständlich nur, weil die Diskussion um den Fruchtzwerg so kräftezehrend war – is klar.) Wir achten bei den Kleinen auf einen ausgewählten Wortschatz, nutzen in kinderlosen Momenten aber mit Vorliebe das böse Sch-Wort, um unserer Meinung Ausdruck zu verleihen. Uuuund: auf dem Spielplatz ermutigen wir mit einem gelassenen „Du kannst die Kindern einfach fragen, ob Du mitspielen kannst“, wissen aber selbst überhaupt nicht, ob und wie wir mit Elternteilen ins Gespräch kommen sollen, wenn sie bereits ihr Kind an der Schaukel anschupsen, an der sich unser Kind auf den zweiten Platz setzen.
Wer sind die? Und was machen die so?
Der Familien-Ferienhof stellt uns Eltern im Bereich Kontaktaufnahme vor proportional größere Herausforderungen. Denn anders als auf dem Spielplatz, den man vergleichsweise schnell wieder verlässt, entscheidet die Ansprache auf dem Familien-Ferienhof über eine bis zu 14-tägige Beziehung zueinander. Das will schon gut überlegt und vorbereitet sein. Statt direkt Kontakt aufzunehmen, so wie wir es unseren Kleinen gebetsmühlenartig raten („Guck mal, der Junge baut gerade eine große Sandburg, ihr könnt das doch zusammen machen!“), analysieren wir daher zunächst aus sicherer Distanz, mit wem wir es um uns herum so zu tun haben. Wir schauen uns als erstes die Nummernschilder der auf dem Parkplatz stehenden Autos an, um herauszufinden, woher die Familien kommen – und nehmen dabei zwangsläufig auch die Marken und Modelle der Wagen wahr. Erste Schubladen öffnen sich, auch wenn wir das eigentlich nicht wollen. Der chice Mercedes Kombi aus Düsseldorf lässt nun mal andere Schlüsse zu als der betagte VW Caddy…
Als nächstes spitzen die Ohren: Worüber und vor allem wie reden die Eltern mit ihren Kinder? In welchen Gesprächen steckt uns zu viel Autorität, in welchen zu wenig? Wer ist immer laut, wer eher zurückhaltend? Schließlich beobachten wir möglichst unauffällig das Verhalten: Welcher Vater spielt stürmisch mit in der Scheune, welcher sitzt währenddessen mit hochgestelltem Polokragen mit Smartphone in der Hand nah am WLAN-Verteiler? Welche Familie füttert die Schweine am Abend noch mit seinen Resten des Bio-Gemüses, das täglich auf den pünktlich hergerichteten Abendbrottisch kommt, welche Familie scheint (wie wir) beim Einkauf zwar stets an die Fischstäbchen, aber nicht an den Salatkopf zu denken.
Grillwürste und erste Erkenntnisse
Die ersten belastbaren Informationen über Wohnorte, Berufe, Reiseverhalten und Charakterzüge der Mit-Urlaubenden bringen die mit an den Abendbrottisch, denen man oft keine ausgeprägte Kommunikationsfreude nachsagt: die Männer. Beim wöchentlichen Grillabend kreuzen sich die Wege der Papas im Kohlequalm. Dort fachsimpeln sie über Weber-Grills und Fahrradhalterungen, kommen aber auch über das Alltagsleben ins Gespräch. Wir Frauen gleichen die zusätzlich zur Bratwurstwurst mitgebrachten Neuigkeiten mit den Ergebnissen unserer bisherigen investigativen Recherche ab. Hier und da korrigieren wir gegebenenfalls unsere Eindrücke. Schublade auf. Schublade zu.
Am Ende von Woche 1 scheint klar, wer mit uns auf der gleichen Welle surft. Aus der Schnittmenge dieser Gruppe und der Familien, deren Kinder sich schon längst mit dem eigenen angefreundet hat, ergibt sich der Personenkreis, bei dem wir uns nun ein Herz fassen und endlich mal in ein Gespräch kommen wollen, das über „Hallo“ und „Das Wetter hat sich ja echt gut gehalten heute. Hatte die App ganz anders vorausgesagt“ hinausgeht. Als gäbe es ein Gesetz der Anziehung, kreuzen sich mit diesem Familienkreis dann plötzlich häufiger die Wege. Auf dem Trampolin, in der Spielscheune, beim Kettcar fahren.
Das Phänomen der Dreieckskommunikation
Dabei ist zunächst etwas zu beobachten, das wir schon vom Spielplatz oder aus der Kita kennen: das Phänomen der Dreieckskommunikation. Wir reden mit den anderen Eltern, nehmen dabei aber den Umweg übers Kind. So spreche wir es beispielsweise mit dem Vornamen an und fragen, was es denn heute so gemacht hat. Übersetzt heißt das in Richtung der Erwachsenen: Hey, ich weiß wie Dein Kind heißt, weil ich mich so freue, wie es mit meinem spielt“ sowie „Habt Ihr eventuell einen Ausflugstipp, den wir noch nicht kennen?“ Das sagen wir aber halt nicht. Sondern starren alle brav auf die Kinder und versuchen geschickt, im Gespräch mit ihnen Informationen über uns preiszugeben.
Irgendwann, irgendwann ist er dann aber endlich da. Der Moment des offenen Blicks ins Gesicht der erwachsenen Gegenüber. Der Moment, in dem wir uns trauen, Interesse zu zeigen. der Moment, in dem jemand von uns Eltern fragt: „Woher kommt Ihr eigentlich?“ Diese banale Frage, die uns vorkommt wie ein mutiger Eingriff in die Privatsphäre setzt im Nu ein sympathisches Gespräch in Gang. Und unbemerkt schüttelt man dann den Kopf über sich selbst und fragt sich, was daran eigentlich so verdammt schwierig war.
Wenige Tage vor der Abreise dann der Durchbruch im Elternmiteinander: ein gemeinsamer Ausflug an den Strand. Dafür werden aus organisatorischen Gründen Handynummern ausgetauscht, um sich später den genauen Standort von Strandzelt und Buddelschaufe via WhatsApp durchgeben zu können. Wohl dem, der nach dem Eintippen der ihm zugeraunten Zahlen weiß, unter welchem Namen er den Eintrag abspeichern soll. „Papa von Max“ schreibe ich. „Weißt Du eigentlich, wie die beiden heißen?“ frage ich meinen Mann etwas später, als wir auf dem Weg zum Strand sind. „Ähm. Nein. Doch, warte mal. Er heißt Florian, oder?“
Mein Mann sollte recht behalten, wie ich im Verlauf des Nachmittags feststelle. Spaß macht es, mal wieder mit einer anderen Familie einen Tag zu verbringen. Gemeinsam eine Sandburg zu bauen. Gegenseitig einen Blick auf das Wohlergehen der jeweils anderen Kinder zu haben. Kekse, Obst und Themen zu tauschen.
„Geh doch einfach mal rüber!“
„Geh doch einfach mal rüber. Du darfst bestimmt mitspielen!“ Wir meinen es gut, wenn wir unsere Kinder ermutigen, mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen. Und sind fast ein bißchen enttäuscht, wenn unser Kind zu schüchtern ist, schnell ins Spielgeschehen mit den anderen einzutauchen. Am Ende schaffen sie es fast immer. Und zwar mit Abstand schneller, als wir uns trauen, mit anderen Eltern ins Gespräch zu kommen. Vielleicht sollten die Kleinen das nächste Mal uns einen Schubs geben:
„Geh doch einfach mal rüber, Mama. Die andere Frau freut sich bestimmt, wenn Ihr ein bißchen schnackt!“
So, und nun mal Hände hoch: Wer erkennt sich in den etwas überzeichneten Szenen wieder? Na?
Haha, da erkenne ich eine Menge von mir wieder. Leider! 😉
Mein Mann ist allerdings ganz anders, er ist ein echter „Türöffner“, der immer leicht ins Gespräch kommt. Beim Summer‘s tale hat er plötzlich inmitten einer Menschengruppe Frisbee mit unseren Kindern gespielt und das hat nicht nur viele andere Kinder angelockt, sondern aufgrund von ungünstigen Windverhältnissen auch so manchen Erwachsenen „integriert“ 😉 und (für mein Dafürhalten:) komischerweise war keiner sauer, dass er soeben einen Frisbee an den Kopp gekriegt hat, sondern die Leute haben einfach mitgespielt und hatten Spaß.
Ich saß daneben und hatte meine „Du kannst doch da nicht Frisbee spielen, wo alle Leute chillen wollen, das ist doch total rücksichtslos!“- Predigt im Kopf und stattdessen war das einer der schönsten Momente des Wochenendes.
Als ich ihm abends meine Gedanken mitteilte, meinte er nur ganz trocken: „Wir sind doch alle nur Menschen.“ Und mein Sohn stimmte zu: „Ja, Mama, das sind alles auch Menschen, keine schleimigen, stinkenden Aliens!“
Vielleicht vergesse ich das selbst zu oft, dass jeder andere auch nur Mensch ist (mit Mercedes oder mit Dacia, ob aus Düsseldorf oder tiefster Provinz, ganz egal) und „zerdenke“ alles zu sehr, weil ich selbst auch nicht blöd „rüberkommen“ möchte. Es sind nicht nur die „Anderen“, sondern man selbst geht manchmal einfach mit einer gefühlt leicht angezogenen „Handbremse“ durch’s Leben.
Dabei bin ich ja so ein aufgeschlossener Mensch …also theoretisch:))))
Danke für‘s Spiegelvorhalten, ich hatte gerade viel Freude mit deinem Text!
Hallo Sandra,
ich kann mich Maren nur anschließen, auch ich erkenne mich deutlich wieder. Und auch mein Mann ist der „Türöffner“. In unserem letzen Urlaub waren zwei andere Familien mit ähnlich alten Kindern. Lustigerweise standen immer die Männer mit den Kindern im Pool und haben sich unterhalten und die Informationen weitergegeben;-). Mit einer Familie haben wir uns dann ein bißchen angefreundet und die letzten beiden Abende verbracht. Hätten wir auch schon früher machen können, aber es dauert eben und man will sich ja auch nicht auf die Nerven gehen…
Auch von mir DANKE für den Spiegel. Vielleicht werde ich es im nächsten Urlaub besser machen.
LG Stephanie